Haben Sie mit einer weiteren Senkung des Leitzinses im Euroraum gerechnet?
Barbara Widmer, Wirtschaftsredaktion Radio SRF: Ich habe keine Senkung erwartet. Ich habe vermutet, dass EZB-Präsident Mario Draghi abwarten würde, ob sein bereits angeschobenes Programm läuft, mit dem die Kreditvergabe angekurbelt werden sollte. Das Problem in Europa ist ja nach wie vor, dass die Banken zwar auf sehr viel Geld sitzen, es aber nicht weiter an die Unternehmen ausleihen. Offenbar hat Mario Draghi aber keine Geduld mehr. Er will weitere Anreize setzen.
Ein Leitzins von 0,05 Prozent bedeutet quasi Gratisgeld für die Banken. Nützt das der Wirtschaft in der Eurozone?
Ob es nun 0,15 Prozent oder 0,05 Prozent sind, macht den Braten sicher nicht fett. Aber es ist ein wichtiges Signal, das zeigen soll, dass die EZB nicht zögert, Massnahmen zu ergreifen, um eine weitere Abkühlung der Konjunktur und eine Inflationsrate nahe Null zu verhindern. Deshalb müssen die Banken jetzt unter anderem auch einen höheren Strafzins bezahlen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken, anstatt es in die Wirtschaft zu pumpen.
In den vergangenen Tagen hat sich der Euro immer weiter abgeschwächt und war nahe an den Mindestkurs von 1,20 Franken der Schweizerischen Nationalbank gekommen. Was bedeutet der heutige Zinsentscheid für den Franken und den Mindestkurs?
Die erste Reaktion war klar: Der Euro wurde nochmals schwächer, der Franken stärker. Die SNB musste in den vergangenen Jahren ja nicht mehr intervenieren, um den Mindestkurs zu verteidigen – mündliche Ankündigungen genügten.
Jetzt könnte es tatsächlich wieder soweit kommen, dass die Nationalbank eingreifen muss. Vielleicht muss sie nun schon bald wieder Euro kaufen beziehungsweise Franken verkaufen, damit die Schweizer Währung nicht zu stark wird.