Felix Münger unterhält sich mit Bernd Greiner, emeritierter Geschichtsprofessor an der Universität Hamburg und Verfasser einer neuen Biografie über Henry Kissinger. Beim Schreiben des Buchs habe sich Kissinger für ihn mehr und mehr als «Scheinriese» erwiesen, sagt Greiner, als lediglich vermeintlicher Titan, der kleiner wird, je näher man ihm kommt.
Henry Kissinger mischte von 1968 bis 1977 ganz oben mit in der amerikanischen Aussenpolitik. Dabei bereitete er Anfang der 1970er Jahre unter anderem das legendäre Abkommen mit China vor, das zu einer Normalisierung der Beziehungen der USA mit dem kommunistischen Land führte.
Erfolge wie diese dürfen gemäss Bernd Greiner nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kissinger zweifelsfrei eine grosse Mitverantwortung trug für die grauenvollen Bombardements der Amerikaner in Vietnam mit Hunderttausenden von Toten. Oder etwa auch für den blutigen Militärputsch in Chile 1973.
Aufgrund breiter Archivrecherchen kommt Bernd Greiner zum Schluss, dass sich Henry Kissinger – allen seinen späteren Bezeugungen zum Trotz - nie um moralische Fragen gekümmert hat. Dafür umso mehr um seinen persönlichen Machtausbau und um die Selbstinszenierung als historische Figur. Opfer seien Kissinger stets «egal» gewesen.
Buchhinweis:
Bernd Greiner: Henry Kissinger. Wächter des Imperiums. Eine Biographie. C.H.Beck 2020.