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Die BuchKönig bloggt Dieser Western sitzt mir in den Knochen

Yee-haw! Téa Obreht hat einen Western geschrieben, wie ich schon immer einen lesen wollte. «Herzland» liest sich wie 15 Stunden im Sattel, ohne Wasser. Glutheiss, staubtrocken, beinhart. Ich fühle mich wie eine echte Pionierin und weiss nun, was es heisst, eine Frau im Wilden Westen zu sein.

Der Roman «Herzland» von Téa Obreht liegt auf staubigem Boden
Legende: Annette König geht es wie einer von Téa Obrehts Westernheldinnen: Einmal ihre Stiefel auf den Boden von «Herzland» gesetzt, will sie nicht mehr übers Wasser zurück, nie wieder. SRF

1893, Amargo, Arizona-Territorium. Nora, 37, vierfache Mutter, lebt auf einer abgelegenen Ranch. Durst und Hitze machen ihr zu schaffen. Seit Monaten Dürre, nur noch vertrocknete Gräser, nichts als Distelpelz, abgestreifte Schlangenhaut und im Brunnenhaus kaum mehr Wasser.

Ihr Mann Emmett ist vor Tagen nach Cumberland aufgebrochen, um Wasser zu holen und noch immer nicht zurück. Und auch ihre Söhne, Rob und Dalan, sind weg. Vermutlich vor dem Morgengrauen in die Stadt geritten, um in der Druckerei des «Amargo Sentinel» nach dem Rechten zu schauen. Wenn Emmett nicht da ist, dann liegt die Zeitung in der Obhut der Jungs.

Bewertung: fünf Kronen

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Dieser Western interpretiert den amerikanischen Gründungsmythos neu. Hier wird nicht gegen alle Widerstände Glück gemacht und Law & Order geschaffen.

Nora ist unruhig. Ihr ist schwindlig. So gross ist ihr Durst. Um ihn etwas zu lindern, befeuchtet sie ihren Rachen mit ein, zwei Schlucken aus der Whiskyflasche. Aber auch die ist bald alle.

Sie denkt an gestern Abend, an den grossen Streit. Die Jungs haben ihr Vorwürfe gemacht, weil sie vermuten, dass Emmett etwas passiert sein könnte wegen Noras Leserbrief, den sie eigenmächtig in der Zeitung veröffentlicht hat.

Darin tritt sie der Viehzuchtvereinigung und dem lokalen Rinderkönig kräftig ans Bein. Ein einflussreicher, skrupelloser Typ. Er will, dass Ash River anstelle von Amargo Verwaltungshauptsitz im County wird und damit Anschluss an die neue Eisenbahnlinie kriegt.

Nora runzelt die Stirn. Ob Emmett deswegen etwas zugestossen sein könnte? Und was, wenn die Jungs nicht in die Stadt geritten sind, sondern sich auf die Suche nach ihrem Vater gemacht haben? Noras Magen rumort. Sie beginnt um die Leben ihrer Liebsten zu fürchten.

Skizze der geografischen Gebiete aus dem Western «Herzland» von Téa Obreht.
Legende: Der Wilde Westen bezeichnet umgangssprachlich die westlich des Mississippi gelegenen Gebiete der heutigen Vereinigten Staaten, die in der Pionierzeit im 19. Jahrhundert noch nicht als Bundesstaaten in die Union aufgenommen waren. Die Protagonistin in «Herzland» wuchs westlich von Missouri auf. SRF

Daumen rauf

  • Everything. Dieser Western ist fiebrig, glutheiss, staubtrocken, durstig, beinhart, abenteuerlich, gefährlich, tückisch, schön, glaubwürdig, klischeefrei, bodenständig, unerschrocken, beharrlich, unerbittlich, erschütternd, rätselhaft, gespenstisch, übersinnlich, fantastisch, opulent, prächtig, leuchtend, episch, rücksichtslos, traurig, komplex, kunstvoll, virtuos, reichhaltig, sehnsüchtig, sprachgewaltig und: frauenstark!
  • Hard Ride. Ich werde in die Pionierzeit versetzt. Baue erst ein Haus, dann einen Hühnerstall. Lege Strychnin aus gegen die Füchse, was Hund um Hund kostet. Schufte, furche, grabe. Versuche es mit Schafen. Jahrelanges Hufe schleifen, verschissene Wolle scheren, blutverschmierte Lämmer ins Leben ziehen. Herbst um Herbst die Herde von den glühend heissen Hängen treiben, um so die Schulden von der Druckerpresse zu tilgen. Damn. Das soll der «American Dream» sein?!
  • Tense. Story, Dramaturgie, Sprache! «Herzland» ist ein Pageturner mit einem Showdown, so überraschend und erschütternd, dass er mir noch Tage in den Knochen sitzt. Die Handlung spielt an einem einzigen Tag. Die Autorin schildert zwei Lebensgeschichten, die sie unabhängig voneinander erzählt und am Ende des Romans hart auf hart zusammenführt. Noras Geschichte kennt ihr schon. Die andere ist die von Lurie. Lurie ist ein Einwanderer aus dem Osmanischen Reich, ein Revolverheld und «Killer-Türke». Er wird zum Outlaw, weil er sich jahrelang an eine gewisse Grenze herantanzt, hinüberhuscht und wieder zurück, «bis er irgendwann zu weit geht und ein für alle Mal auf der anderen Seite steht».
  • Existential. Ein Familiendrama und ein Epochengemälde mit psychologischer Tiefenschärfe. Fragen über Fragen bedrängen mich während der Lektüre: Ist dieses harte Leben denn selbstgewählt? Wie hält man bloss diese Entbehrungen, Querelen, Gefahren und Ungewissheiten aus? Diesen Stress, diese ständige Angst alles zu verlieren, um dann wieder ganz von vorne anfangen zu müssen? Und die Härte des Schicksals? Schweisst sie ein Paar zusammen oder treibt sie es auseinander? Und am Ende stirbt man an Typhus, Durst, Hitzetod oder an einer Kugel. Ist das Abenteuer?
  • PS. Wisst ihr warum Noras Gegner, der Rinderkönig, ein «Limey» genannt wird? Weil er ein Engländer ist und die englischen Matrosen einst Limetten assen, um nicht an Skorbut zu erkranken.

Daumen runter

Sorry Folks, aber für mich gibts keinen einzigen Grund, meinen Revolver zu zücken.

Was haltet ihr von diesem Western? Und kennt ihr noch andere gute Westerngeschichten? Diskutiert mit auf Facebook Die BuchKönig bloggt.

«Herzland» von Téa Obreht liegt auf einem Holzriemenboden.
Legende: Annette König hat sich über «Herzland» hergemacht wie über ein rosig gebratenes, tropfendes Stück Rindfleisch. SRF

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