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Games Review: «Sid Meier's Civilization VI»

Führe deine Zivilisation aus der Bronzezeit in die Raumfahrt – der Strategie-Spiel-Klassiker «Civilization» war noch nie so schön, so komplex und dennoch so zugänglich.

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Der Game-Tipp zu «Civilization VI» (SRF 3)
03:23 min
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 23 Sekunden.

Ist «Civilization VI» gut? Meine kürzestmögliche Antwort ist die: Am Sonntagabend dachte ich so um zehn nach eins, «Geh jetzt langsam ins Bett, morgen früh kommen Handwerker!». Tatsächlich schlafen ging ich um 5:15 Uhr.

Dass ich so sehr die Zeit vergesse und einfach nicht aufhören kann, ist mir schon seit Jahren nicht mehr passiert. Also: Ja! «Civilization VI» ist sehr, sehr gut.

Das Ziel: eine Zivilisation zur Grösse führen, angefangen mit einem Siedler in der Bronzezeit bis zum Bau von Raumschiffen in der nahen Zukunft. Wie in einem Brettspiel machen wir einen Zug: Wir bewegen unsere Einheiten, bauen ein Amphitheater oder ein Schiff, entscheiden, welche Technologie als nächstes erforscht werden soll. Dann sind die Gegner dran, gesteuert vom Computer.

«One more turn»

Das ist bereits im Kern befriedigend: eine Idee haben und dann sehen, wie das Spiel darauf reagiert. Deshalb bleiben wir so lange im Spiel hängen: nur noch ein Zug, um zu sehen, wie sich der Plan auswirkt. «One more turn» ist mittlerweile ein Klischee, um die Qualität eines Strategiespiels zu beschreiben – und die «Civilization»-Reihe hat das ganz wesentlich geprägt.

Und blockiert so meine Ausbreitung.
Legende: Spanien ärgert mich und setzt mir Toledo vor die Nase. Screenshot SRF

Der Reiz dieses Genres sind ausserdem die Geschichten, die im Spielverlauf entstehen. So errichtete ich beispielsweise mit Japan in der Südhälfte eines Kontinentes mein Reich – und plötzlich kam da einfach Spanien angelatscht und setze mir mittendrin Toledo vor die Nase. Ausserdem giftelten sie ständig gegen mich, schlugen absurde Handelsgeschäfte vor, fanden mich zu demokratisch und nicht katholisch genug.

Ich hielt mich aber vornehm zurück, baute Weltwunder, errichtete Museen und sorgte für Entertainment, förderte meine Forschung und überflügelte sie. Bis sie mich aus lauter Neid angriffen. Worauf ich sie mit meinen überlegenen Einheiten langsam und genüsslich zerpflückte. Gerade weil eine solche Dramaturgie ungeplant entsteht, ist sie so befriedigend.

Nicht nur militärisch siegen

In den ersten «Civilization»-Games konnte man nur gewinnen, wenn man alle anderen Zivilisationen vernichtete. Das ist hier nicht mehr so: Es gibt verschiedene Wege, das Spiel zu gewinnen. Natürlich gibt es die militärische Option weiterhin. Dazu kommen aber Wissenschaft, Religion oder Kultur. Wir gewinnen, wenn wir: als erste eine Mars-Mission starten; bei allen anderen Zivilisationen mindestens die Hälfte derer Städte zu unserer Religion bekehren; oder dank unserer grossartigen Kultur am meisten ausländische Touristen anziehen.

Ein fertiggestelltes Weltwunder.
Legende: Der Mont St. Michel liegt in Japan. Screenshot SRF

Sollte es keiner Zivilisation gelingen, einen dieser Siege zu erreichen, ist das Spiel nach 330 Runden fertig. Dann gewinnt die Mannschaft mit den meisten Punkten, die sich aus allen Kategorien zusammensetzen. Und natürlich kann man auch nach dem Sieg weiterspielen – wenn man beispielsweise schon früh gewinnt und trotzdem noch sehen möchte, wohin sich die Zivilisation entwickelt. Die Option heisst dann sinnigerweise «One more turn».

Je nach Ziel müssen wir ganz unterschiedliche Prioritäten setzen – es ist wohl der verbreiteste Anfängerfehler, sich zwar etwas vorzunehmen, sich dann aber ständig von anderen Möglichkeiten ablenken zu lassen und das Ziel aus den Augen zu verlieren. Wenn wir uns aber gut konzentrieren, fühlen sich die Kampagnen auch sehr unterschiedlich an. Während es für einen militärischen Sieg wichtig ist, auf Terrain und Mobilität der Truppen zu achten, geht es bei einem kulturellen Sieg darum, grosse Künstler anzuziehen und ihre Werke möglichst geschickt in den gebauten Museen unterzubringen.

Elegant und erstaunlich zugänglich

Besonders erstaunlich dabei ist, wie elegant uns «Civilization VI» all diese Systeme zugänglich macht. Das Benutzerinterface ist enorm intuitiv, wir finden jede Information schnell. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die uns Mikromanagement abnehmen und Einheiten automatisieren. Eine Beraterin hilft uns ausserdem gut, in das Spiel einzusteigen, auch Neulingen.

Neues Politik-System

Im Vergleich zur Vorgängerversion hat Hersteller Firaxis einiges grundsätzlich umgebaut – mit Erfolg.

Das Politik-System.
Legende: Freihandel, freie Märkte und Unterstützung für Bedürftige: meine Politik. Screenshot SRF

Neu in Version 6 ist das Politik-System. Zu Militär-, Wirtschafts- und Aussenpolitik haben wir jeweils einen bis drei Slots zur Verfügung, abhängig von der Regierungsform. Als altertümlicher Häuptling können wir eine Militär- und eine Wirtschaftspolitik durchsetzen. Als fortschrittliche Demokratie sind es dann ein Slot für Militär, drei für Wirtschaft, zwei für Diplomatie und zwei Joker.

Diese Slots füllen wir mit Karten, die wir abhängig von entwickelter Technologie erhalten. Hat unsere Zivilisation beispielsweise «Social Media» entdeckt, erhalten wir dafür die Politik-Karte «Online Communities». Wenn wir die in einen Slot einsetzen, kommen in Zukunft 50 Prozent mehr Touristen aus Ländern, mit denen wir Handelsbeziehungen unterhalten. Das System ist enorm flexibel und spannend.

Zwei Technologie-Bäume, Städte mit Vierteln

Auch alle anderen Neuerungen haben mir sehr gut gefallen. Neu gibt es zwei statt einem «Tech-Tree», unsere Zivilisation entwickelt parallel sowohl Technologie («Technologies») als auch Gesellschaft («Civics»). Damit liessen sich Technik und Ideengeschichte besser abgrenzen, was verständlicher, intuitiver und übersichtlicher ist.

Und ist damit in der Moderne angelangt.
Legende: Der Technology-Tree: Japan hat gerade das Fliegen entdeckt. Screenshot SRF

Ausserdem füllt eine Stadt neu nicht mehr nur ein einziges Sechseck auf der Karte. Stattdessen wächst sie mit der Zeit und wir bauen «Districts», Stadtviertel. Uni und Bibliothek im «Campus». Bank und Börse im «Commercial District». Museum und Amphitheater im «Theater District». Auch das macht das Spiel intuitiver, weil wir einer Stadt gleich ansehen, was dort Priorität hat.

So sind die Städte auch besonders schön anzusehen. In einem Aufbauspiel ist es wichtig, die eigene Kreation bewundern zu können. Und die neue Grafik liefert genau das, in einem comic-mässigen Stil, der mir ausserordentlich gut gefällt.

Verständlich UND komplex

«Civilization VI» gelingt eine ideale Balance. Das Spiel ist komplex, aber nicht, weil die einzelnen Systeme kompliziert sind. Sondern weil es viele Systeme aufeinander schichtet, die je für sich genommen aber einfach verständlich sind. Weil es uns beeindruckend elegant ihr Zusammenspiel erkunden lässt.

Es ist deshalb wohl eines der ganz, ganz wenigen Strategiespiele, das sowohl genug Tiefgang hat für Fanatiker, als auch zugänglich genug ist für Neulinge. Grossartig.

«Sid Meier's Civilization VI» ist für Windows PC und macOS. Es ist ab 12.

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