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Nudging: Wie wir im Alltag unbemerkt gelenkt werden
Aus Input vom 01.09.2021. Bild: Unsplash
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Nudging Wie wir im Alltag gesteuert werden, ohne es zu merken

Schon mal das Wort Nudge gehört oder Nudging? Nudges bringen uns dazu, bessere Menschen zu werden. Und sie tun das, ohne dass wir es wirklich merken. Eine Spurensuche im Alltag von SRF-Redaktorin Mariel Kreis.

Was ist Nudging?

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Nudging kommt aus dem Englischen und heisst übersetzt stupsen. Nudges sind kleine Massnahmen, die uns anstupsen nachhaltiger einzukaufen, gesünder oder klimafreundlicher zu leben. Der berühmteste Nudge ist die Pissoir-Fliege. Erfunden hat ihn der Manager des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Ein Blick auf die Buchhaltung hat nämlich gezeigt: Der teuerste Posten war die Reinigung der Pissoirs, weil die Männer reihenweise danebenpinkelten. Dank der Sticker landeten 80 Prozent weniger Urin auf dem Boden. Warum? Männer haben die automatische Verhaltenstendenz beim Pinkeln immer zu zielen.

Der gesunde Nudge - das Personalrestaurant:

Die Kantine ist ein beliebter Ort für Nudging: An meinem Arbeitsplatz im Radiostudio Zürich steht die Salatbar gleich am Eingang, damit sie sofort erreichbar ist. Obst ist auf Augenhöhe platziert, damit wir eher zugreifen. Und besonders fies: Die Schoggistängeli befinden sich in einem Plexiglas-Kasten, den ich erst öffnen muss, bevor ich zugreifen kann.

Eine Plexiglas-Box mit drei Etagen, gefüllt mit Schoggi-Riegel
Legende: ZVG

Eine psychologische Barriere hält mich vielleicht davon ab, heute schon wieder zuzugreifen, sagt die Nudging-Expertin Linda Burkhalter: «Man muss zuerst aktiv werden und es könnte unangenehm werden, wenn andere einen dabei beobachten. Es entsteht so etwas wie sozialer Druck.» Ihr Lieblingsnudge sind übrigens die Lifte, die extra langsam fahren, damit wir die Treppe nehmen.

Mariel Kreis

Mariel Kreis

SRF 3-Redaktorin

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Mariel Kreis ist Redaktorin bei der Hintergrundsendung «Input» von SRF 3.

Alle «Input»-Sendungen

Der ärgerliche Nudge - Druckereinstellung:

Wenn ich mit einem Skript im Studio am Mikrofon stehe, sollte es so wenig rascheln wie möglich. Sprich: Seiten umblättern möglichst vermeiden. Da bei SRF aber die Druckereinstellung «Beidseitiger Druck» eingestellt ist und ich nicht daran denke, sie vorher zu entfernen, muss ich ein Dokument oft zweimal ausdrucken. Das ist das Gegenteil, was dieser Nudge eigentlich erreichen will: Papier sparen, dadurch dass ich zu faul bin, die Druckereinstellung zu ändern.

Warum wirken diese Nudges überhaupt?

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Viele Nudges arbeiten mit psychologischen Kniffs. Am häufigsten machen sie sich unseren Autopiloten zunutze. Im Alltag sind wir häufig im Zeitstress oder so vielen Reizen ausgesetzt, dass wir gar nicht alles verarbeiten können. Deshalb schalten wir auf Autopilot. Wir suchen den einfachsten Weg, um Entscheidungen zu treffen. Wir lassen uns von Gewohnheiten leiten und entscheiden automatisch, folgen ganz einfachen Daumenregeln. Oder wir lassen uns von etwas leiten, dass uns ins Auge springt: Bodenmarkierungen, die uns im Bahnhof zeigen, auf welcher Seite wir laufen sollen (damit der Pendlerstrom am Feierabend besser fliesst).

Der weit verbreitete Nudge - Abstandsmarkierungen:

Auf dem Weg vom Radiostudio zum Bahnhof, wo ich in den Zug nach Bern einsteigen werde, sehe ich sie überall: Die rot-gelben Bodenmarkierungen vom BAG, die mir zeigen: Hier warten und Abstand halten. Im Alltag sind wir vielen Reizen ausgesetzt, wir können gar nicht alles verarbeiten und schalten auf Autopilot. Wenn uns etwas auffordert, anzuhalten oder eben Abstand zu halten, dann tun wir das, ohne gross nachzudenken.

Rot-gelbe Klebestreifen vom BAG mit der Aufschrift: Abstand halten
Legende: ZVG

Wer steckt hinter Nudges?

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Das ist ganz unterschiedlich. Das kann ein Bundesamt für Gesundheit sein (wie bei den Abstandsmarkierungen) oder auch eine NGO und private Unternehmen, die ein Interesse z.B. an Nachhaltigkeit oder Klimaschutz haben. Migros oder Coop zum Beispiel. Mit der Gebühr von fünf Rappen auf die Plastiksäcke ist die Nachfrage um 80 % eingebrochen.

Der grüne Nudge - Pizza-Ghüder:

In meinem Wohnort Bern bin ich vor kurzem beim Spazieren auf diesen auffälligen Abfalleimer gestossen. Auf Anfrage hat mir die Pizzeria Da Nino erzählt, dass sie grosse Probleme mit den Pizza-Schachteln hatten, die ihre Take-Away-Kunden achtlos draussen haben liegen lassen. Die gängigen Abfalleimer waren nicht gross genug. Daraufhin hat die Pizzeria eine formgerechte Abfallbox designen lassen. Das Resultat: Weniger überfüllte Abfalleimer, weniger Littering. Zudem werden die Kartons sachgerecht von der Stadt entsorgt und nicht mit dem restlichen Abfall verbrannt, sondern recycelt.

Abfallbehälter in Form von Pizzaschachteln
Legende: instagram/pizzeria_danino

Mein Lieblingsnudge - Piano Stairs:

Mein Lieblingsnudge ist zum ersten Mal in Stockholm ausprobiert worden und hat mittlerweile weltweit Nachahmer gefunden. Jeder Tritt einer Bahnhofstreppe wurde mit Platten belegt, die einer Klaviertaste entsprechen. Und klingt, wenn man drauftritt. Die Leute können also beim Rauf- und Runterlaufen mit ihren Schritten Klavier spielen. Das Resultat: 66 Prozent mehr Leute haben die Treppe der Rolltreppe vorgezogen.

Treppe ist mit grossen Klaviertasten ausgestattet.
Legende: www.youtube.com/watch?v=2lXh2n0aPyw
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Sonntag 5. September 2021, 20 Uhr

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