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Dorfplatz Luzia Brand hat wieder ein Baby im Köfferli

Von wegen Klapperstorch – wenn jemand die Babys ins Haus bringt, dann ist es Luzia Brand. Für Toggenburger Kinder der 1970er-Jahre ist es jedenfalls klar, was sich im Köfferli der Hebamme befindet, wenn sie sich wieder einmal auf den beschwerlichen Weg zu einem abgelegenen Bauernhof macht.

Die Wehen sind kaum mehr auszuhalten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht windet sich die werdende Mutter schweissgebadet in ihrem Bett. Immer wieder schweift ihr Blick ungeduldig zum Fenster hinüber. «Wann wird sie endlich kommen», seufzt sie völlig entkräftet. Dann endlich, gefühlte Stunden später, stapft Luzia Brand zur Tür herein.

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Männer mussten für die Geburt bezahlen
aus Audio MW vom 29.06.2015.
abspielen. Laufzeit 32 Sekunden.

Der Bauer steht derweil im Türrahmen. Auch er konnte es kaum mehr erwarten, bis die Hebamme endlich eintrifft.

Hausgeburten sind normal auf dem Land

Routiniert verschafft sie sich einen Überblick, öffnet ihren Hebammenkoffer und legt sich fein säuberlich die benötigten Utensilien bereit. Eine Hausgeburt wie diese ist in den 1970er-Jahren normal. Vor allem in den ländlichen Regionen wie hier im Toggenburg kennt man es nicht anders.

Es ist auch nichts Aussergewöhnliches, wenn eine Mutter drei Tage in den Wehen liegt.

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Kinder gebären ist etwas Schönes
aus Audio MW vom 29.06.2015.
abspielen. Laufzeit 40 Sekunden.

Gewickelt wird auf dem Stubentisch

Diesmal geht es mit der Geburt schnell voran. Es ist bereits das zehnte Kind, das die Bäuerin zur Welt bringt. Auch dies kein Einzelfall in dieser Gegend. Luzia Brand kümmert sich liebevoll um den neuen Erdenbürger. Sie wäscht und pflegt ihn direkt auf dem Stubentisch, wickelt ihn ein und legt ihn der glücklichen Mutter in die Arme.

Hebamme war der Traumberuf

Noch heute strahlt Luzia Brand bis über beide Ohren, wenn sie über ihre Erlebnisse als Hebamme berichtet. Die Menschen damals waren noch sehr arm und auch die Geburtshilfe war rudimentär. Nur bei komplizierten Geburten wurde der Weg in ein Krankenhaus in Erwägung gezogen.

Schon ihre Mutter übte den Beruf aus. Mit vier Jahren durfte Luzia zum ersten Mal ein Wochenbett besuchen und war fasziniert. Vor allem das Nabelrestli der Neugeborenen fand sie besonders spannend. Von da an gab es keinen Zweifel mehr daran, dass sie selber auch Hebamme werden würde

Der Verdienst als Geburtshelferin war schon bei ihrer Mutter karg. Auch bei Luzia Brand reichte es kaum für mehr als einen Gotteslohn. Würde sie heute aber noch einmal vor derselben Wahl stehen, würde sie erneut Hebamme werden.

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Das ganze Interview mit Luzia Brand
aus Audio MW vom 30.06.2015.
abspielen. Laufzeit 28 Minuten 56 Sekunden.

Pensioniert und nach wie vor gefragt

Obschon sie mit ihren 72 Jahren bereits pensioniert ist, wird sie ab und zu wieder für eine Hausgeburt angefragt. Hebamme, das ist so etwas wie ein Lebenstraum, den sie sich erfüllt hat. Auch den Traum vom eigenen Hebammen-Museum hat sie sich in ihrem Wohnort Libingen verwirklicht.

Im Laufe ihres Lebens hat sie an die 6000 Kinder zur Welt gebracht, und die Familientradition geht weiter. Auch Luzias Tochter wurde Hebamme.

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