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«Ich schlage meinen Kopf noch heute gegen die Wand»
Aus Rehmann vom 01.02.2021. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 47 Minuten 57 Sekunden.
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Rehmann «Ich schlage meinen Kopf noch heute gegen die Wand»

Impulsivität und Gefühlsausbrüche begleiten Jlona (30) praktisch ihr ganzes Leben, die Diagnose Borderline erhält sie jedoch erst sehr spät. Über ihren Leidensweg, ihre emotionale Instabilität und warum ihr die Kreativität hilft, erzählt sie bei Robin Rehmann.

ADHS und Borderline Persönlichkeitsstörung – erst im Alter von 28 Jahren erhält Jlona diese Diagnose. Sie hat auch heute noch Mühe, ihre Impulsivität und Emotionen unter Kontrolle zu halten.

Erste Selbstverletzung

Die Anzeichen bei der heute 30-Jährigen beginnen schon viel früher. Das erste Mal erlebt sie einen Anfall, als sie mit 14 Jahren einen Streit mit ihrem damaligen Freund hat. Um wieder abzukühlen, kratzt sich Jlona die Haut auf, beruhigt sich danach wieder. «Es ist eine Narbe, die bis heute sichtbar ist», erzählt sie. Doch sehen tut man von ihren Verletzungen nie etwas. Sie versteckt sie gut und ihre Eltern stempeln die Ausbrüche als heftiges Pubertieren ab.

Doch das ist nicht die einzige Methode, mit der sie sich selbst Schmerzen zufügt. Die Obwaldnerin schlägt mit ihren Fäusten gegen die Wand, haut sogar ihren Kopf dagegen. «Das passiert bis heute», erklärt sie und fügt an: «Wenn man von einer Stressskala von eins bis 100 ausgeht, sind Borderline-Patienten*innen konstant auf einer 40. Da kann die kleinste Sache schief laufen und ich bin innert Sekunden auf 100.»

Ich schlage meinen Kopf noch heute gegen die Wand.

Ein Beispiel dafür ist noch nicht lange her, nämlich als sie mit ihrem Freund Pizza bestellt und diese versehentlich mit Fleisch belegt ist, obwohl Jlona Vegetarierin ist. Sie schnappt sich ein Küchenmesser und rammt es in den Tisch, bis die Messerspitze bricht. «Ich habe für einen Moment komplett die Kontrolle verloren. Beim nächsten Mal ist es vielleicht meine Hand. Der Gedanke daran ist sehr beängstigend.» Doch als ihr Freund eine neue Pizza holt, ist die Welt von einer Minute auf die andere wieder total in Ordnung. «Es kann sehr schnell gehen.»

Ich brauche Hilfe!

Dass sie Hilfe benötigt, wird Jlona an ihrem 26. Geburtstag klar. Durch ihre beste Freundin erfährt sie, dass ihre Mutter sich Sorgen macht. «Das war mir gar nie so bewusst. Doch dieser Moment schuf mir die Klarheit: Ich brauche Hilfe!»

Späte Diagnose und stationäre Therapie

Auf dem Land aufgewachsen, geht sie auch dort zu einer Psychiaterin. Dass diese ihr nicht helfen kann, merkt die Obwaldnerin schnell. «Die Dame fragte mich, ob ich beim Zugfahren das Bedürfnis hätte, meinen Kopf aus dem Fenster zu strecken. Als ich verneinte, meinte sie nur: ‹Du hast kein Borderline-Syndrom.›»

S.O.S. – Sick of Silence

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Wie sieht das Leben junger Menschen aus, nachdem es durch eine chronische Krankheit ausgebremst wurde? Robin Rehmann leidet selbst an einer chronischen Krankheit und unterhält sich in seiner Sendung mit Betroffenen.

Jeden Dienstag, 18-19 Uhr bei SRF Virus oder hier als Podcast.

Jlona begibt sich auf die Suche und erhält, mittlerweile 28-jährig, doch noch die Diagnose: Borderline-Syndrom. Für sie bricht eine Welt zusammen. «Ich konnte einfach körperlich nicht mehr.» Auf diese schwierige Momentaufnahme hin fällt sie eine Entscheidung: «Ich wollte in eine psychiatrische Klinik.» Das Prozedere geht schnell und kurze Zeit später befindet sie sich in stationärer Behandlung.

Rückblickend sei dies eine wichtige Entscheidung gewesen. Die Mitarbeitenden verstehen sie, nehmen sie ernst und es findet ein reger Austausch mit den Mitpatienten*innen statt. Jlona findet ausserdem immer mehr den Zugang zu etwas, dass schon lange in ihr schlummert: Kreativität. «In der Freizeit bin ich auf meinem Zimmer gesessen und habe gemalt. Das hat mir richtig gut getan, denn ich konnte die Gedanken, die ich im Kopf habe, aufs Papier bringen.»

Ihr Ziel: Betroffenen helfen

Jlona hat einen Weg gefunden, mit ihrer Borderline-Erkrankung zu leben und möchte andere Betroffene, die sich ebenfalls auf diesem Weg befinden, unterstützen. Sie sieht sich als «Mental Health Activist» und teilt ihre Erfahrungen auf Social Media. Zudem unterstützt sie Vereine, die sich für die Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten einsetzen.

Ich hätte mir jemanden gewünscht, der mich an der Hand nimmt

Ihre grösste Motivation dabei: «Ich hätte mir im jungen Alter jemanden gewünscht, der mich auf meinem Weg an der Hand nimmt.»

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