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Review Neuer Dokfilm über DMX: das letzte Lebenszeichen eines Rapgotts

Der im letzten April verstorbene Hip-Hop-Star DMX erhält mit «DMX: Don't Try to Understand» ein Doku-Mahnmal, das mit seiner intimen und ungewohnt unprätentiösen Art viele Klischees ähnlicher Dokumentarfilme umgeht – und trotzdem einen irgendwie unvollendeten Eindruck hinterlässt.

«Don't Try to Understand» beginnt am 25. Januar 2019. Kein zufällig ausgewähltes Datum. Es ist jener Tag, an welchem Earl «DMX» Simmons aus einem Gefängnis im US-Bundesstaat West Virginia entlassen wird. Dort, wo er die letzten zehn Monate aufgrund diverser Steuerdelikte eingesessen hat.

Vor den Gefängnistoren empfangen ihn seine aktuelle Freundin, sein Manager und eine Kameracrew, die hier ist, um den Beginn einer emotionalen Comeback-Story zu dokumentieren.

«DMX: Don't Try to Understand»: Wo schauen?

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Der von Christopher Frierson abgedrehte Film ist Teil der Dokumentarfilmreihe «Music Box» und ab Donnerstag, dem 25. November auf dem US-Streamingdienst HBO Max verfügbar.

Sobald der rund 90-minütige Film auch bei uns offiziell zu sehen sein wird, werden wir den Artikel dementsprechend updaten.

Schliesslich wäre alles angerichtet für einen Triumphzug. DMX lässt seine juristischen Probleme hinter sich – und dann meldet sich auch noch «Def Jam», sein altes Label, mit einem neuen Plattenvertrag bei ihm.

DMX ist wieder dort, wo er Anfang 00er-Jahre Musikgeschichte schreibt. Damals, als er mit Songs wie «X Gon' Give it To Ya» und «Ruff Ryders' Anthem» zum Fixpunkt jeder Hip-Hop-Landkarte wird und jedes einzelne seiner ersten fünf Studioalben auf Platz 1 der US-amerikanischen Alben-Hitparade landet. Das schaffen vor ihm weder die Beatles, noch Madonna, oder Michael Jackson.

Eine Person of Color steht vor einem Fenster und telefoniert mit dem Handy
Legende: Der Rapper verstarb im April 2021 an einem Herzinfarkt, ausgelöst durch eine Kokain-Überdosis. HBO

Doch schon wenige Minuten nach der Unterschrift des neuen Vertrags kippt die Stimmung. Dem Rapper wird vorgerechnet, wie viel seines Vorschusses, den er von seinem neuen, alten Label erhält, direkt wieder abgezogen wird. Schliesslich müssen Unterhaltsforderungen für seine insgesamt 15 bis 17 (!) Kinder – die genaue Zahl ist umstritten – beglichen werden. «Das sollte eigentlich ein Freudentag werden», urteilt der Rapper angesäuert.

Wenig Kohle, wenig Glamour

«DMX: Don't Try to Understand» verzichtet erfreulicherweise auf die für diese Art von Dokumentarfilmen üblichen Lobhudeleien. Weggefährt:innen und Musikkritiker:innen, die vor einem Greenscreen unmotiviert erklären müssen, warum das Subjekt dieses Dokumentarfilms die grösste Legende ist, die je ge-legendet hat, sucht man hier vergebens.

Stattdessen möchte «Don't Try to Understand» DMX genau so zeigen wie auch er selbst sich, schon seit Beginn seiner Karriere, am liebsten inszeniert: als Rapper von der «Hood» – für die «Hood». Und das gelingt. DMX lebt nicht in einer Villa mit 30 Zimmern und Wänden voller Gold- und Platinschallplatten. Stattdessen verbringt er seine Zeit lieber in Billiardcentern und Bars, die ihre beste Zeiten hinter sich haben.

Oder wir dürfen ihn in bei einem Besuch in seiner alte Heimat Yonkers, einem Vorort von New York, begleiten. Dort werden wir Zeugen, wie er eindrücklich und auf Augenhöhe jenen Leuten, die aus einem finanziell und sozial ähnlich benachteiligten Umfeld stammen wie er selbst, Mut zuspricht. «Wandle deinen Schmerz in Worte um», rät er einem jungen Mann, der soeben einen schlimmen, persönlichen Verlust durchmachen musste, in der vielleicht besten Szene des Films.

Ein Mann steht vor einer Wandtafel und hält seinen Sohn in der Hand
Legende: In seinen beiden letzten Lebensjahren DMX's wichtigste Bezugsperson: sein jüngster Sohn Exodus HBO

Doch die vielleicht gewichtigste Rolle des Films spielt der «Devil». So benennt der gottesfürchtige Rapper sämtliche Laster und Sünden, die ihn an gefühlt jeder Ecke ins Verderben locken wollen.

Und so ist es – leider – nur eine Frage der Zeit, bis der Teufel auch in «Don't Try to Understand» seinen ersten «richtigen» Auftritt hat. Wenige Tage nach einem erfolgreichen Musikvideodreh erscheint DMX nicht zu einem verabredeten Interviewtermin. Vom Rapper fehlt jede Spur. Erst mehrere Tage später meldet sich sein Manager und berichtet, dass DMX einen Rückfall erlitten hat. Es wird – wie wir aus heutiger Sicht wissen – der Anfang vom Ende sein.

Die letzten Monate fehlen

Auf dem Poster verspricht «DMX: Don't Try to Understand», «A year in the life of Earl ‹DMX› Simmons» zu zeigen. Streng genommen hält der Film dieses Versprechen auch. Dass dies jedoch nicht das allerletzte «Year» ist, wird einem erst ganz zum Schluss des Filmes bewusst.

Wenn DMX, komplett in seiner eigenen Welt versunken, zu Gladys Knights «The Way We Were» mitsingt ist das zwar ein durchaus kraftvoller und eindrücklicher Abschluss eines Films – trotzdem ein eher unpassendes Schlusswort für jemanden, der einige Zeit später sterben wird. Dass DMX stirbt, erfährt man lediglich via Einblender vor dem Abspann. Wieso er stirbt? Man erfährt es nicht. Wie es so weit kommen konnte? Man erfährt es nicht.

So bleibt «DMX: Don't Try to Understand» ein interessantes Dokument einer problembehafteten Musiklegende, verpasst es jedoch, die Geschichte zu Ende zu erzählen. Ein bisschen so, wie wenn man ein YouTube-Video eines fesselnden Fussballspiels anklickt, aber erst ganz am Ende merkt, dass die Schlussviertelstunde fehlt.

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