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Club «Ich verlor meine Familie, mein Geld und meine Selbstachtung»

Das folgende Interview wurde mit einem Mann aus St. Gallen geführt, der jahrzehntelang spielsüchtig war. Inzwischen ist er in Therapie, seine Sucht hat er aber noch nicht ganz überwunden. Er verspielte sein Geld und seine Existenz zuerst in Casinos. Später wurde er Online-Zocker.

Sie haben gespielt bis zum tragischen Exzess: Was ist für Sie persönlich die Faszination am Geld- und Glücksspiel?

Die Idee war: Wenig Aufwand bringt schnell viel Ertrag. Ich glaubte daran, dass ich cleverer bin und mir alles leichter fällt. Und darum hätte ich es auch verdient, leichter meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Als einmal im Jackpot zwei Millionen Franken zu gewinnen waren, entfachte dies in mir Allmachtsfantasien und betäubte mich wie ein Medikament.

Wann haben Sie gemerkt, dass Ihr Spielen problematisch wird?

Es kam mehrmals vor, dass ich zwölf Stunden oder mehr ununterbrochen mit Zocken zugebracht hatte. Dabei vernachlässigte ich dringende Verpflichtungen, wie zum Beispiel die Miete bezahlen. Ausserdem veruntreute ich bei meinem Arbeitgeber Geld. Ich gefährdete die Einkommensgrundlage meiner Familie. Da wurde ich mir der Gefahr bewusst.

Welche Folgen hatte das Geld- und Glücksspiel für Sie?

Trennung von Frau und Kind, Scheidung, Alimente, Panikattacken, IV-Rente, Minderwertigkeitsgefühle, Selbstzweifel, Rückzug aus dem Freundeskreis, Privatkonkurs, Schwierigkeiten eine neue Partnerschaft einzugehen, Rückgang der Arbeitsleistung.

Wie haben Sie sich helfen lassen?

Meine neue Partnerin hat mich ultimativ zur Therapie gedrängt. Heute bin ich froh darüber. Ich habe mein Problem erkannt. Die Therapie ermöglicht mir ein Reflektieren in Einzelgesprächen mit dem Psychologen und in Selbsthilfegruppen mit Betroffenen. All dies hilft mir auf dem Weg, mir wieder etwas zuzutrauen und eine Zukunftsvision entstehen zu lassen. Sich selbst und die eigene Lebenssituation anzuschauen, das konkrete Stellen von Hürden – zum Beispiel sich im Casino sperren zu lassen – sind ein unumgänglicher Schritt aus dem Hamsterrad des Geldbeschaffens heraus.

Sind Sie heute «geheilt»? Wie geht es Ihnen heute?

Nein, ich bin nicht geheilt. Ich habe es nicht zu Abstinenz gebracht, obschon ich mir dieses Ziel, nach zunächst jahrelanger Verweigerung, unterdessen gesetzt habe. Die Auswirkungen des Spielens sind inzwischen finanziell nicht mehr verheerend, emotional hingegen fühle ich mich durch meine Verhaltensweise - immer noch ab und zu zu Zocken - belastet, verstört, gehemmt.

Was wäre für Sie wirksame Prävention?

Es gibt wirksame Prävention wie Werbeverbote für Tabak und Alkohol. Auch das Zocken wurde bereits mit einer Kampagne des Bundes als gefährdend dargestellt. Doch ein Werbeverbot für Glücksspiele gibt es nicht. Gerade wegen der hohen Dunkelziffer von Abhängigen finde ich ein Werbeverbot für Glücksspiele dringend notwendig. Die Sozialkonzepte der Casinos sehe ich als Alibiübung.

Auf politischer Ebene wird eine Netzsperre für ausländische Geldspielanbieter diskutiert: Was halten Sie davon?

Wessen Wassermühlen das Mehl für mein Brot mahlen ist mir, solange es schmeckt, unwichtig. Dies ist eine Frage, die den Raucher, Zocker oder sonst einen Konsumenten nicht wirklich berührt. Ich bin aber gespannt, wie der Versuch, Umsätze in der Schweiz zu generieren, enden wird.

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