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Einstein Online Machen Kunststoffe krank?

Eltern sorgen sich wegen Weichmachern in Spielzeug, Hobbyköche wegen Folie um Fleisch: Kunststoffe sind immer wieder in den Schlagzeilen. Wie mit Risiken umzugehen ist, beurteilen Behörden und Forscher teils unterschiedlich. Die wichtigsten Schadstoffe im Überblick.

Bisphenol A

Die chemische Verbindung mit dem Kürzel BPA besteht aus Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff. Sie wird zur Herstellung von Kunststoffen verwendet, darunter Epoxidharzen und Polycarbonaten, aus denen auch Trinkflaschen für den täglichen Gebrauch bestehen. Beschichtungen in Konservendosen können ebenfalls BPA enthalten und freisetzen.

Tony Clement kündigte im April 2008 ein Importverbot für Babyflaschen aus Polycarbonat an.
Legende: Kanadas Gesundheitsminister Tony Clement kündigte im April 2008 ein Importverbot für Babyflaschen aus Polycarbonat an. reuters

Bisphenol A geriet in die Schlagzeilen, weil es auf den Hormonhaushalt des menschlichen Körpers einwirken kann. Die Wirkung gilt zwar als relativ schwach, verstärkt aber die Funktion weiblicher Sexualhormone und kann dadurch schwere Probleme auslösen. Um die Gefahren abzuschätzen, wurden zahlreiche Analysen durchgeführt – darunter auch vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG), das 2004 die erhältlichen Schoppenflaschen analysierte. Fazit: Für die Konsumenten bestehe wegen geringer Belastung in diesem Fall keine Gesundheitsgefahr, weshalb ein Verbot solcher Flaschen nicht angemessen sei.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hält diese Produkte ebenfalls für unbedenklich, auch für Kinder und Säuglinge. Dennoch hat die EU entschieden, BPA in Schoppenflaschen zu verbieten – aufgrund des sogenannten Vorsorge-Prinzips, wie Hans-Peter Hutter erläutert, der sich am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien mit Chemikalien befasst, die Kunststoffen beigemischt werden.

Diese Verbindungen kommen seit langer Zeit und in grossen Mengen in Kunststoffen zum Einsatz – als Weichmacher für Produkte wie Bodenbeläge aus PVC, Verpackungen, Schläuche in medizinischen Geräten oder Kinderspielzeug. Weil Phthalate chemisch nicht fest im Kunststoff gebunden sind, können sie leicht aus dem Material entweichen und deshalb vom Menschen aufgenommen werden.

Eine Gesundheitsgefahr können sie auf mehrere Arten sein. Aus Tierversuchen ist laut dem BAG seit langem bekannt, dass Phthalate die Spermienzahl und die Fruchtbarkeit verringern und die Entwicklung der Nachkommen verschlechtern können. Zudem weiss man, dass sie auch den Hormonhaushalt stören. Unklar ist jedoch noch, ob sie auch beim Mensch so wirken.

Unter den Phthalaten wird DEHP am häufigsten verwendet. Weltweit stellen Betriebe mehrere Millionen Tonnen her. Es findet sich nicht nur in PVC-Belägen, sondern auch in anderen Weichplastikprodukten, Klebstoffen und Druckfarben – und gelangt über die Nahrungskette in fetthaltige Nahrungsmittel wie Käse. Auch über die Hüllen von Pillen, die der Magensaft nicht zersetzen soll, kommt DEHP in den Körper.

Das umstrittene Phthalat wird nach Einschätzung von Fachleuten zunehmend durch Substanzen wie DINP und DIDP abgelöst, die nach Untersuchungen im Auftrag der EU derzeit als unproblematisch gelten. Von anderen Phthalaten wie DBP und BBP darf seit Januar 2007 in der Schweiz in Spielzeug für Säuglinge und Kinder nur noch 0,1 Prozent enthalten sein. In der EU sind sie, wie DEHP, in allen Spielwaren verboten. Weitere Phthalate wurden nur für Spielwaren untersagt, die Kinder in den Mund nehmen können.

PCB

Die Altlast unter den Kunststoffzusätzen: Polychlorierte Biphenyle sind Verbindungen, die bis in die 80er-Jahre vor allem im Baubereich eingesetzt wurden – zum Beispiel als Weichmacher in Isoliermitteln und Dichtungsmassen. Einmal im Körper angelangt, wirken sie auf Dauer schon in geringen Dosen giftig und lösen unter anderem Haut- und Leberschäden aus. Zudem stehen sie im Verdacht, Krebs zu verursachen.

PCB ist in der Schweiz bei offenen Anwendungen wie Anstrichen oder Dichtungsmassen seit 1972 untersagt. Seit 1986 gilt ein generelles Verbot. In Lebensmitteln kommen Überreste aus der Zeit zuvor laut Fachleuten heute praktisch nicht mehr vor. «Da ist wirklich viel passiert», sagt Umweltfachmann Hans-Peter Hutter. Doch bei der Entsorgung verursacht das Erbe der PCB-Produktion bis heute in vielen Ländern Probleme.

Auch in der Schweiz, zum Beispiel im Kanton Freiburg. Auf der Deponie La Pila in der Gemeinde Hauterive wurden bis in die 70er-Jahre Abfälle gelagert. Reste versickerten und wurden schliesslich im Fluss Saane nachgewiesen, der in einer Schleife um die Deponie herum liegt – darunter gefährliche Dioxin, Furane und auch PCB. Die Fischerei in der Saane wurde verboten; die Sanierung von Deponie und Fluss wird mindestens bis Herbst 2013 dauern.

Antimon

Antimon ist ein chemisches Element, das als silberglänzendes Halbmetall vorkommt. Für die Kundstoff-Herstellung wird die Verbindung Antimontrioxid verwendet, die giftig ist. Gesundheitsbehörden klassifizieren sie als Substanz, die möglicherweise Krebserkrankungen auslöst.

Für die Produktion von PET-Flaschen wird Antimontrioxid ebenso benötigt wie für Verpackungen, in denen Lebensmittel erhitzt werden – zum Beispiel praktische Fertiggerichte. Untersuchungen haben laut dem BAG gezeigt, dass Spuren der Substanz in Mineralwasserflaschen weit unter den zulässigen Werten liegen. Doch beim Erhitzen geht deutlich mehr Antimon in Lebensmittel über.

Die gefundenen Mengen sind laut einer Risiko-Analyse des BAG vom August 2007 in Bezug auf die tolerierbare Tagesdosis noch nicht kritisch. Gleichwohl forderte das Bundesamt die kantonalen Laboratorien als Vorsichtsmassnahme auf, Kontrollen durchzuführen. Und für besorgte Verbraucher findet sich in dem Text der Hinweis, dass sie Schalen bevorzugen können, die nicht aus PET bestehen – oder die Lebensmittel vor dem Kochen in ein anderes Gefäss umfüllen.

Weitere Substanzen

Neben den genannten Verbindungen gelten auch andere Substanzen, die bei der Herstellung von Kunststoff verwendet werden, als riskant. Nonylphenol beispielsweise wurde früher als Weichmacher für Folien und Verpackungen eingesetzt, in grossem Stil jedoch vor allem in Waschmitteln – bis in die 90er-Jahre hinein. Wegen der gesundheitlichen Risiken ist es in der EU seit Dezember 2003 nicht mehr für die industrielle Verwendung zugelassen.Über andere Länder kann es allerdings noch nach Europa gelangen.

Der thermoplastische Kunststoff Polyformaldehyd (POM) steht ebenfalls unter Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Er ist sehr fest, widerstandsfähig, hochwertig – und damit auch teuer. Geeignet ist er vor allem für Bauteile in Maschinen, Fahrzeugen oder Elektrotechnik. In Haushaltsprodukten kommt er dagegen nicht in grossen Mengen zum Einsatz.

Der Konsumentenschutz ist bei verdächtigen Substanzen in Plasticprodukten in der EU teilweise strenger als in anderen Nationen. Das liegt auch daran, dass dem Vorsorge-Prinzip mehr Gewicht eingeräumt wird als offenen Fragen zur Wirkung. Zum Beispiel bei hormonaktiven Chemikalien: Seit den 80er-Jahren wurde in internationalen Studien beobachtet, dass mehr Fälle von Brust-, Hoden- und Prostatatumoren auftreten und die männlichen Spermien an Qualität verlieren – doch der Beweis, dass wirklich ein oder mehrere bestimmte Schadstoffe aus Plastikprodukten verantwortlich sind, steht noch aus.

«Gerade bei so niedrigen Dosen ist es ungeheuer schwer, einen kausalen Zusammenhang zu beweisen», sagt Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene, «aber epidemologisch ist das Probleme doch evident. Wir könnten noch Jahrzehnte mit Debatten verbringen!» Der Wiener Fachmann plädiert deshalb für mehr Verbote oder Beschränkungen nach dem Vorsorge-Prinzip. Eine Strategie mit dem Risiko freilich, dass Hersteller, etwa in Fernost, bei der Kunststoffherstellung dann andere Zusätze verwenden, über die man noch weniger weiss.

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