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Wieviel Kunststoff in uns steckt
Aus Einstein vom 04.10.2012.
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Einstein Online Unsere tägliche Dosis Plastic

Die Plastic-Industrie produziert Materialien, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit sind. Vor allem aus Kunststoffverpackungen gehen Chemikalien in Lebensmittel über. Und die Hinweise verdichten sich, dass diese Stoffe krank machen können.

Das Kantonslabor Zürich befasst sich intensiv mit der Verunreinigung von Lebensmitteln durch die Verpackung und gehört mittlerweile zu den führenden Instituten weltweit. Der Chemiker Konrad Grob stellte dort fest, dass die Migration von Verpackungschemikalien in Lebensmittel rund 1'000 Mal grösser ist als Rückstände von Pestiziden.

Fehlende Kontrolle für Kunststoffe

Während Pestitzide jedoch unter strenger Kontrolle stehen, ist das laut Grob bei Kunststoffen nicht der Fall. Dieser Zustand ist aus seiner Sicht unhaltbar: Mit dem heutigen Wildwuchs an chemischen Substanzen, die unkontrolliert auf den Markt kämen, drohten unabsehbare Langzeitfolgen.

Seit 15 Jahren mahnt das Kantonslabor Zürich, dass die Migration von Stoffen aus der Verpackung in das Lebensmittel besser untersucht und abgesichert sein müsste. Die Gefahren durch Verpackungen als potenziell grösste Kontaminationsquelle für Nahrungsmittel müssten ernster genommen werden. Fachmann Grob ist überzeugt, dass die Risiken massiv unterschätzt werden. Das Kantonslabor hatte vor rund 10 Jahren über 100 Substanzen identifiziert, die der Beschichtung von Konservendosen entweichen, bis heute ist keine einzige toxikologisch abgesichert ist.

Weichmacher und andere Risikostoffe

Eigentlich ist die Rechtslage klar: In der Schweizerischen Lebensmittelverordnung steht geschrieben: «Bedarfsgegenstände dürfen an Lebensmittel Stoffe nur in geringen Mengen abgeben, die gesundheitlich unbedenklich sind, technisch unvermeidbar sind und keine Veränderung der Zusammensetzung … der Lebensmittel herbeiführen.» Doch werden diese Vorgaben immer eingehalten?

Die Behörden haben es verpasst, die Kunststoffproduzenten zu verpflichten, ihre Produkte vor der Markteinführung auf mögliche Gesundheitsgefahren zu prüfen. Die meisten Stoffe, die vom Plastic ins Essen übergehen, sind deshalb noch gar nicht analysiert. Zu den wenigen Materialien, die toxikologisch untersucht sind, gehören hormonaktive Substanzen wie Weichmacher auf Phthalatbasis und das Bisphenol A, das in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus der Wissenschaft geriet.

Aus Deckeln und Dosen in den Körper

Bisphenol A gehört zu den meistproduzierten Chemikalien weltweit. Es ist ein Grundstoff von Epoxidharzen und des Kunststoffs Polycarbonat. In CDs und DVDs kommt es genauso vor wie in Campinggeschirr, Lebensmittelverpackungen und als Innenbeschichtung von Konservendosen. Aus diesen Produkten entweicht Bisphenol A – in die Umwelt oder aber in das verpackte Produkt.

Von den Büchsenbeschichtungen wandern laut dem Zürcher Kantonslabor bis zu 5 Prozent direkt in den Inhalt. Als Grenzwert für unbedenklichen Konsum beim Menschen gelten bei Bisphenol A 50 Mikrogramm pro Kilo Körpergewicht pro Tag, die in Wirklichkeit bei weitem nicht erreicht werden. Doch dieser Wert wird immer stärker in Zweifel gezogen.

Plastic-Bestandteil schadet trächtigen Affen

Eine aktuelle Studie der Washington State University stellte fest, das Bisphenol A den trächtigen Rhesusaffen schadet und beim ungeborenen Weibchen die Entwicklung von Eizellen beeinträchtigt. Und zwar schon bei Dosen, welche in etwa jenen entsprechen, die ein Mensch im Alltag aufnehmen darf und die weit unter den geltenden Grenzwerten lagen.

Diese Studie bestätigt eine Hypothese, der auch Cathrin Brisken von der EPFL in Lausanne nachgeht: die Niedrig-Dosis-These, der zufolge bei hormonaktiven Stoffen wie Bisphenol A die Grenzwerte der herkömmlichen Toxikologie nicht zutreffen. Deren Versuche sind darauf ausgerichtet, konkrete Schäden an Zellen oder Organen festzustellen – doch hormonaktive Substanzen stören eher die Kommunikation zwischen den Zellen und stehen im Verdacht, das Erbgut zu schädigen.

Im Rahmen einer Nationalfonds-Studie verabreichte Cathrin Brisken trächtigen Mäusen während sieben Jahren Bisphenol A im Trinkwasser – in Mengen, die 20 Mal tiefer lagen als das, was laut Behörden ein Mensch pro Kilo Körpergewicht und Tag ein Leben lang zu sich nehmen dürfte. Diese verabreichten Dosen führten bei den Nachkommen der Mäuse zu Veränderungen. Sie entwickelten im Brustgewebe mehr Zellen, von denen Brustkrebs ausgehen kann. Spuren von Bisphenol A im Trinkwasser von trächtigen Mäusen hatte also Einfluss auf die heranwachsende Generation.

Ein Dauerzank unter den Fachleuten

Es tobt ein Experten-Streit. Die Gegner der Niedrig-Dosis-Hypothese rücken deren Vertreter in die Nähe der umstrittenen Homöopathie und kritisieren, dass Ergebnisse bei Tieren nicht auf den Menschen übertragbar seien.

Was tun? Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) lässt die Wirkung von Bisphenol A in niedrigen Dosen derzeit neu beurteilen. Und der Bundesrat hat eine Petition zur Bisphenol-A-Problematik angenommen und lässt bis Ende 2012 einen Bericht über Nutzen und Gefahren der Verwendung erstellen, um seine Position neu zu beurteilen.

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