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Einstein Online Mit Lärm ist zu rechnen

Laut den jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Umwelt sind 20 Prozent aller Menschen an ihrem Schweizer Wohnort von Strassenlärm über dem Grenzwert betroffen. Tagsüber sind es rund 200‘000 Gebäude, nachts 150‘000. Woher stammen solche Zahlen? Wie werden sie ermittelt – und wie genau sind sie?

Was kostet Verkehrslärm? Nerven, auf die Dauer die Gesundheit und mehr Geld, als viele Steuerzahler wohl vermuten würden. Berechnungen der Bundesämter für Umwelt und Raumentwicklung haben gezeigt, dass die Kosten im Jahr 2005 über 1,1 Milliarden Franken betrugen – für Massnahmen von Schallschutzwänden bis zu Kreiseln zur Verkehrsberuhigung.

Schweizer Grenzwerte für Lärm

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Laut der Lärmschutz-Verordnung sollen Lärmpegel in Wohnzonen tagsüber 60 db(A) nicht überschreiten; nachts sind es 50 db(A). Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt jedoch die tieferen Werte von 55 und 45 db(A). Dies entspricht den Schweizer Vorgaben für Erholungsgebiete.

Die jüngsten Daten, die das Bundesamt für Umwelt Ende April publizierte, zeigen, wie viele Menschen wie stark betroffen sind. Spezifische Orte in der Schweiz werden allerdings nicht genannt. Zwar sind die Grossstädte wie Basel, Genf oder Zürich entlang der grossen Verkehrsadern stark betroffen – doch laut Micha Köpfli von der Zürcher Firma n-Sphere, der an der Visualisierung des Strassenlärms (siehe Bildergalerie) mitarbeitet, sind es weniger Autobahnen, die den Grossteil der Anwohner belasten. Sondern viel befahrene Kantons- und Gemeindestrassen in besiedelten Gebieten.

Die Lärmschweiz aus dem Computer

Solche und andere Erkenntnisse liefert Sonbase, die Lärmdatenbank für die gesamte Schweiz – ein reines Rechenmodell, weil andernfalls hunderttausende Mikrofone im Land installiert werden müssten. Die erste Sonbase-Analyse wurde im Jahr 2009 publiziert: eine detaillierte Modellierung anhand Unmengen von Daten zu Strassen- und Schienenverkehr, Geografie und Akustik. Die Resultate waren zwar hoch auflösend, aber mit Vorsicht zu interpretieren – zu wenig präzise, um etwa die Lärmbelastung eines Dorfes oder gar einer winzigen Gasse realistisch zu bestimmen.

Die Ungenauigkeit steckte unter anderem in den Gebäuden, die Schallwellen schliesslich aufhalten: Ihre Höhen waren nicht genau erfasst, sondern mangels Daten mit neun Metern als Durchschnittswert angenommen. Dass der Schall zudem an Wänden reflektiert wird, blieb unberücksichtigt.

Zudem fehlten im Modell Verkehrsdaten für zahlreiche Strassenabschnitte; sie mussten mit Standardwerten ergänzt werden. Und nicht zuletzt fehlten Angaben, wie sich der Verkehr über Tag und Nacht verteilt. Dieses Problem besteht bis heute. Trotz vieler automatischer Messstellen in der Schweiz, so Micha Köpfli, «wissen wir das nicht ganz genau».

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Legende: Schweizer Karte der Lärmgeplagten: Der prozentuale Anteil der Bevölkerung, die in Gebäuden wohnt, welche von Strassenlärm mit 60db(A) beschallt werden. sonBASE – Lärmdatenbank Schweiz, BAFU

Datenlücken nach und nach schliessen

Dennoch: Die Datenlage ist seit dem ersten Einsatz von Sonbase besser. Das Verkehrsmodell wurde mit Angaben zu vielen kleineren Strassen erweitert. Mit Hilfe von digitalen Oberflächenmodellen der Schweiz sind die Gebäudehöhen nun exakt erfasst – aus der Differenz der Topografie mit und ohne Bebauung. Und auch die Ausbreitung von Schallwellen durch Reflexionen an Gebäudefassaden wird nun berücksichtigt.

In künftigen Berechnungen wird laut Köpfli selbst der Einfluss der Landschaft, in der Lärm sich ausbreitet, enthalten sein: Über einen See hinweg pflanzen sich Geräusche von Autoreifen oder Zugrädern leichter fort als über eine Wiese oder einen Acker. Ein Wald dagegen hat eine leicht dämpfende Wirkung.

Zudem verarbeiten die Algorithmen heute mehr Details: neben spezifischen Lärm-«Profilen» von Autotypen oder Zügen auch der Zustand von Schienen. Denn ob sie rau oder glatt sind, macht einen hörbaren Unterschied. Selbst der Einfluss von Wetterdaten wie Luftfeuchtigkeit oder Temperatur lässt sich einkalkulieren.

Das «Sonair»-System

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Das Modell «Sonair» entwickeln Fachleute der Forschungsanstalt Empa anhand von Messungen des realen Betriebs am Flughafen Zürich. Es soll realitätsnah berechnen, wie Fluglärm entsteht – inklusive «richtungsabhängiger» Emissionen, die auch davon abhängen, ob das Fahrwerk ausgefahren ist oder wie die Flügelklappen bei Start oder Landung stehen.

Fakten sammeln als Herausforderung

So nähert sich das System dem realen Lärm nach und nach an. Für die Berechnung des Schweizer Verkehrslärms auf der aktuellen Datenbasis würde ein zeitgemässer Heimcomputer laut Köpfli gut 400 Tage benötigen. In Zukunft wird es wohl noch länger dauern, denn die Datenbank wird fortlaufend ergänzt – zum Beispiel mit dem Modell «Sonair» für Fluglärm (siehe Box).

Eine Sisyphus-Arbeit also, die noch viel Aufwand benötigen wird. Zumal der Lärm des Militärs noch gar nicht berücksichtigt ist. Wie genau das Sonbase-System einst sein wird, ist deshalb offen. Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Hausbesitzern und lärmgeplagten Anwohnern wird jedenfalls in absehbarer Zeit noch der Mikrofon-Beweis geführt.

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