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Hildegard von Bingen empfängt eine göttliche Inspiration. Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber Scivias, ca.1175.
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Hildegard von Bingen: Marienvesper

Das Vokalensemble ARS CHORALIS COELN demonstriert, wie eine feierliche Vesper im Kloster der Hildegard von Bingen geklungen haben mag. Ausserdem haben junge Komponistinnen unserer Zeit als Hommage an Hildegard neue Vesper-Antiphonen geschrieben: Saskia Bladt, Wu Na und Stephanie Haensler.

«Es wird gesagt, dass Du zum Himmel emporgehoben wirst, dass Dir vieles offenbart wurde, dass Du grossartige Schriften hervorbringst und eine neue Art des Gesanges entdeckst.»

In wenigen Sätzen fasst Magister Odo von Paris 1148 zusammen, was für Hildegard von Bingen auch heute noch gilt: Schon zu Lebzeiten wird sie als Visionärin und vielseitige Autorin wichtiger Bücher anerkannt. Doch als Komponistin? Damit hat es etwas gedauert; lange wurde sie entweder als dilettantisch oder dann als exzentrisch abqualifiziert.

Hildegard wird 1098 in Bermersheim bei Mainz als zehntes Kind einer adligen Familie geboren; bereits als Kind hat sie Visionen. Im Alter von acht wird sie Novizin, mit fünfzehn Nonne des benediktinischen Nonnenklosters St. Disibod auf dem Disibodenberg bei Bingen am Rhein; es ist einem ebenfalls dort gelegenen Männerkloster unterstellt. 1136 stirbt die Äbtissin des Klosters, Jutta von Spanheim, und Hildegard wird ihre Nachfolgerin.

Als Hildegard dreiundvierzig Jahre alt ist, wird sie in einer Vision aufgefordert, ihre visionären Erlebnisse aufzuschreiben. Ihre ersten Schriften finden die Aufmerksamkeit des einflussreichen Abtes Bernhard von Clairvaux und von Papst Eugen III., und sie bestätigen Hildegard als Prophetin und Mystikerin. Mit Hildegards wachsendem Ruhm wächst auch das Kloster, so dass Hildegard gegen den Widerstand der Mönche auf dem nahen Rupertsberg ein neues Kloster gründet, dem später die Übernahme eines weiteren Klosters in Eibingen folgt.

1151 vollendet Hildegard ihr erstes Visionen-Buch Scivias und schreibt zwei Werke zur Heilkunde, Physica und Causae et curae, in denen sich vor allem auch ihr Interesse für die Natur dokumentiert. Es folgen weitere Bücher und Schriften zu verschiedensten Themen, darunter Lingua ignota über eine Geheimsprache. Die Werke entstehen unter Mitarbeit ihrer Sekretäre Volmar und Wibert. Zwischen 1150 und 1160 legt Hildegard eine Sammlung mit ihren poetisch-musikalischen Werken an, die Symphonia harmoniae celestium revelationum (Symphonie der Harmonie der himmlischen Offenbarungen).

Sowohl die lyrischen Texte wie die einstimmige Musik will Hildegard in ihren Visionen empfangen haben; sie betont, sie habe niemals eine Neume (Note) oder irgendwelchen Gesang gelernt. Hinter dieser und ihrer analogen Aussage, sie sei indocta (ungelehrt), steht ein Topos, der sich in dieser Zeit immer wieder findet. Hildegard bekam als Frau zwar keine schulmässig-scholastische Bildung, sie dürfte als Adlige aber durchaus eine standesgemässe Erziehung genossen haben, zu der auch Musik gehörte. Ob der Topos im übrigen mehr eine Demutsgeste darstellt oder mehr den Stolz über das Erreichte herausstreicht, bleibe einmal dahingestellt.

Die Symphonia enthält 77 Kompositionen: Antiphonen, Responsorien, Hymnen, Sequenzen, einige Einzelstücke für die Messe sowie, in einer zweiten Abschrift, das Mysterienspiel Ordo virtutum. Ihre Bildsprache stammt vor allem aus den Psalmen und dem Hohen Lied des Alten Testaments, der sprachliche Duktus ist frei und unregelmässig; Versmass und Reim verwendet Hildegard nie. Die Melodien sind oft gekennzeichnet von grossen Sprüngen, ausladenden Melismen und einer für die damalige Zeit «regelwidrigen» Handhabung der Tonalität. Eine höchst individuelle Verbindung von Text und Musik.

Das Forum Alte Musik Zürich hat unter Vermittlung von Isabel Mundry junge Komponistinnen eingeladen, für die rekonstruierte Vesper von Ars choralis Coeln eine der Antiphonen neu zu komponieren, als Hommage an die erste grosse Komponistin der europäischen Musik. Aufgeführt werden am Konzert des Festivals alte Musik die Antiphonen von drei Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste.

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