Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Wir wollen, dass sich unser Publikum eine Meinung bilden kann

Tristan Brenn schildert in seiner «Backstage»-Kolumne, wie er mit Kritik aus dem Publikum umgeht und wie wichtig diese ist, um die eigene Arbeit regelmässig zu reflektieren.

Porträt von Tristan Brenn, Chefredaktor TV
Legende: Tristan Brenn, Chefredaktor TV SRF

Die Kritik unseres Publikum ist wichtig für unsere Arbeit: Auch wenn sie nicht immer angenehm ist, gibt sie uns doch regelmässig Hinweise darauf, was wir anders, besser, sorgfältiger oder bewusster angehen sollten. Daher nehmen wir Kritik von Zuschauerinnen und Zuschauern grundsätzlich ernst, wir setzen uns damit auseinander – und wir nehmen uns Zeit, darauf zu reagieren.

Manchmal jedoch ist die Kritik derart heftig, dass es schwerfällt, sie nicht reflexartig und pauschal abzulehnen.

Oder dann in ein Verteidigungsmuster zu fallen, das letztlich wieder als Bestätigung unserer vermeintlich voreingenommenen Sichtweise aufgefasst würde. Erst kürzlich wieder meldete sich eine Zuschauerin aus Anlass unserer Berichterstattung zum Krieg in Syrien und zum kriegerischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Ihr Verdikt liess keinen Spielraum: «klägliches Versagen», «Gesinnungsjournalismus», ja sogar «Fake News»!

Ihr Themenvorschlag

Box aufklappen Box zuklappen

In der Rubrik «Backstage» schreiben SRF-Mitarbeitende über Erlebnisse aus ihrem Berufsalltag. Eine Übersicht aller Kolumnen finden Sie hier. Und worüber möchten Sie eine Backstage-Geschichte lesen? Schreiben Sie uns.

Natürlich machen wir Fehler in unserer Berichterstattung, jeden Tag. Unser Weltbild ist westlich geprägt. Wir tendieren dazu, das Gebaren von Leuten wie Putin oder Assad nach westlichen Massstäben einzuordnen und zu beurteilen. Wir werden nicht immer der Komplexität der Welt gerecht und laufen manchmal Gefahr, Kriege in den uns geläufigen und uns bekannten Rastern erklären zu wollen. Schenken wir zum Beispiel den Interessen der USA im Nahen Osten, ihrem eigennützigen Festhalten an einem brutalen Unrechtsstaat wie Saudi-Arabien, genug Aufmerksamkeit? Sicher könnten wir solche Zusammenhänge noch konsequenter ausleuchten.

Oder was ist mit der zweifelhaften Rolle eines Poroschenko und seinen Oligarchen in der Ukraine, die das Land im Hintergrund steuern? Auch das wird möglicherweise zu wenig deutlich in unserer Berichterstattung.

Also nichts als Propaganda und «Fake News»? Natürlich nicht.

Selbstverständlich bringen unsere Korrespondenten, sei es in Moskau oder im Nahen Osten, auch Widersprüche und Verstrickungen der internationalen Gemeinschaft zur Sprache. Und es treten in unseren Programmen auch dezidierte Kritiker des Westens wie der deutsche Politikwissenschaftler Michael Lüders auf. Gerade ihn vermisst die eingangs erwähnte Zuschauerin bei SRF schmerzlich.

Spätestens hier stellt sich die Frage, wie jemand, der sich «seit Jahren» nicht mehr über die öffentlichen Medien informiert, unsere Sendungen derart pointiert und mit scharfsinnigem Blick sezieren und kritisieren kann. Die Liste unserer Versäumnisse scheint endlos. Da geht es um ausbleibende Rentenzahlungen der ukrainischen Regierung in den von Russland besetzten Osten oder um die Türkei als Durchgangsland für Islamisten nach Syrien. Es geht um deutsche Soldaten im NATO-Verbund an der russischen Grenze, «zum ersten Mal seit Adolf Hitler», und «was das wohl bei den Russen auslöst». Oder dann um Carla del Ponte und ihren Bericht aus dem Jahr 2013, wonach nicht die syrische Regierung Giftgas eingesetzt habe, sondern die Rebellen. Alles Themen, die wir angeblich nicht behandelt haben – und die in Tat und Wahrheit allesamt von unseren Newssendungen aufgenommen wurden.

Nun wäre es ein leichtes, Vorwürfe, die sich zweifelsfrei widerlegen lassen, als harmlos abzutun.

Doch die besagte Zuschauerin ist kein Einzelfall, keine versprengte Stimme in den weiten Sphären des digitalen Raumes, sondern ist Teil eines Paralleluniversums, das sich immer weiter auszudehnen scheint. Oft geht die Fundamentalkritik an den öffentlichen Medien und ihrer Voreingenommenheit gegenüber Russland («wir schauen sie seit Jahren nicht mehr») einher mit dem Hinweis auf alternative Kanäle («ich hol mir meine Informationen aus dem Netz»). Das klingt ein bisschen nach alternativen Fakten – und ist leider oft nicht weit davon weg.

Was Donald Trump in den USA praktiziert, dass sich ein Präsident seine Wahrheit nach eigenem Gusto zusammenzimmert, hat bei Putin schon länger Tradition – und wird von den dortigen Staatsmedien und ihren Ablegern im Netz widerspruchslos und nach Kräften unterstützt. Dies im Unterschied zu den Medien in den USA und hierzulande, die ihren Regierungen genau auf die Finger schauen.

Vielleicht stören sich diese Kritiker einfach daran, dass wir jeweils – wie damals bei Carla del Ponte und ihrem Giftgas-Bericht in Syrien – nicht eine Version der Geschichte erzählen, sondern verschiedene Positionen zu Wort kommen lassen, also auch die ihr widersprechende UNO oder das Weisse Haus, so wie es eben guten journalistischen Gepflogenheiten entspricht.

Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer müssen nicht von dieser oder jener Version der «Wahrheit» überzeugt werden. Wir müssen uns einzig daran messen lassen, ob sich das Publikum aufgrund einer sachgerechten Darstellung eine eigene Meinung bilden kann: Darum bemühen wir uns, jeden Tag.

Und wer uns kritisiert, sollte zumindest auch unser Programm wirklich verfolgen. Meine Hoffnung wäre, dass dann das Urteil über den Journalismus von SRF ein bisschen differenzierter ausfallen würde.

Meistgelesene Artikel