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Rechtsfrage: «Dürfen Gemeinden nach Jahren Gebühren verrechnen?»
Aus Espresso vom 04.04.2019. Bild: SRF
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Rechtsfrage «Darf die Gemeinde nach Jahren noch Abwassergebühren verrechnen?»

Ein Wasserverband hat aus Versehen während Jahren keine Rechnungen für die Abwassergebühren verschickt. Dieser Fehler wird nun korrigiert, was dazu führt, dass einzelne Hauseigentümer Nachrechnungen über mehrere Tausend Franken bekommen. «Espresso» sagt, ob sie zahlen müssen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Gemeinde Twann (BE) hat festgestellt, dass in den letzten Jahren mehreren Liegenschaftenbesitzern keine Rechnungen für die Abwassergebühren gestellt worden sind.
  • Der Fehler liegt beim Wasserverband der Gemeinde. Dennoch werden die betroffenen Liegenschaftenbesitzer nachträglich zur Kasse gebeten.
  • Die Gemeinde hat dazu bereits Rechnungen verschickt. Einzelne Hausbesitzer sollen mehrere Tausend Franken nachzahlen.

Zwei Hausbesitzer haben sich beim Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1 gemeldet.

Ende Februar wurden sie in einem Schreiben der Gemeinde Twann darüber informiert, dass seit 2013 die Abwassergebühren nicht bei allen Hauseigentümern einkassiert worden seien. Der Gemeinderat habe beschlossen, dass die nicht eingezogenen Gebühren rückwirkend nachgefordert würden.

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Der eine der beiden «Espresso»-Hörer sollte fast 7000 Franken nachzahlen. Für den Weinbauer ist das viel Geld. Er möchte deshalb wissen, ob die Gemeinde diese Gebühren nach mehr als fünf Jahren überhaupt noch einfordern darf.

Die Frage ist berechtigt: Forderungen können nicht beliebig lange eingefordert werden. Die meisten Forderungen verjähren nach fünf oder zehn Jahren. Nach Ablauf dieser Frist können sie nicht mehr auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden.

Unterschiedliche Verjährungsfristen

Ob eine Forderung nach fünf oder zehn Jahren verjährt, hängt von der Art der Forderung ab.

  • Die meisten Forderungen verjähren nach zehn Jahren: Forderungen aus Darlehensverträgen zum Beispiel oder viele öffentlich-rechtliche Forderungen, wie zum Beispiel Steuerschulden.
  • Nach fünf Jahren verjähren unter anderem Arztrechnungen, Honorare von Anwälten, Mietschulden oder Abonnementsgebühren.
  • Nach zwei Jahren verjähren Ansprüche auf Garantie aus Kaufverträgen.

Diese Fristen sind aber nicht in jedem Fall verbindlich. Privatpersonen dürfen in einem Vertrag andere Verjährungsfristen vereinbaren und auch Gemeinden und Kantone dürfen in ihren Gesetzen andere Fristen festlegen.

Die Gemeinde Twann-Tüscherz sieht in ihrem Abwasser-entsorgungsreglement verschiedene Fristen vor: Anschlussgebühren verjähren nach zehn Jahren, wiederkehrende Gebühren – also Abwassergebühren – verjähren nach fünf Jahren. Vor diesem Hintergrund wären also die Gebühren für das Jahr 2013 verjährt und könnten nicht mehr eingefordert werden.

Das Abwasserreglement ist unvollständig

Aber: Einzelne Hauseigentümer haben im Jahr 2014 eine Rechnung bekommen. Darauf waren jedoch nicht die gesamten Abwassergrundgebühren verrechnet, sondern nur ein Teil. In diesen Fällen beginnt die Verjährungsfrist ab Erhalt der Rechnung zu laufen, was dazu führt, dass die zu wenig verrechneten Gebühren aus dem Jahr 2013 nicht verjährt sind.

Wer also, wie der «Espresso»-Hörer, im Jahr 2014 eine Rechnung bekommen hat, muss die Nachforderungen der Gemeinde bezahlen. Immerhin will die Gemeinde den Betroffenen entgegenkommen und ihnen Ratenzahlungen anbieten.

Nach dieser Geschichte wird die Gemeinde zudem ihr Reglement nachbessern müssen. Dort heisst es, Verjährungsfristen würden erst «mit der Rechnungsstellung» zu laufen beginnen. Für den aktuellen Fall, dass die Gemeinde versehentlich keine Rechnung stellt, enthält das Reglement keine Bestimmung. Das bedeutet: Streng nach dem Wortlaut des Reglements könnte die Gemeinde nach 100 Jahren noch eine vergessene Rechnung verschicken, die Verjährungsfrist würde erst dann zu laufen beginnen.

Diese Argumente helfen Hauseigentümern

Das wäre aber nicht im Sinne des Gesetzgebers. Verjährungsfristen sollen eben genau solche Situationen verhindern. Laut juristischer Lehre müssen die «Entstehung der Forderung» und der Beginn der Verjährungsfrist möglichst nahe beieinander liegen. Die Verantwortlichen überlegen sich nach der Intervention durch «Espresso», das Reglement anzupassen.

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