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Die Dargebotene Hand schläft nie
Aus Espresso vom 06.08.2021. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 9 Minuten 15 Sekunden.
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Auch nachts ein offenes Ohr Dargebotene Hand: «Einsamkeit ist ein grosses Problem»

Freiwillige der Nummer 143 sind rund um die Uhr für die Nöte der Menschen da. Einsamkeit macht vielen zu schaffen.

Wenn die Not und Verzweiflung gross sind und niemand da ist, der zuhört, gibt es unter der Nummer 143 zu jeder Tages- und Nachtzeit Hilfe. Mehr als 600 Freiwillige nehmen bei der Dargebotenen Hand rund um die Uhr Anrufe entgegen. Zuhören, da sein und mit-aushalten ist das Hauptziel, mit Tipps und gutgemeinten Ratschlägen sind die Helferinnen bewusst sparsam.

Bis zu 18 Telefonlinien sind während der Nacht schweizweit offen. Doch die Probleme sind unabhängig von der Uhrzeit: Wut, Angst, familiäre Probleme, Alltags- und Geldsorgen, Drogen, Beziehungen, psychische Probleme, Einsamkeit und Selbstmordgedanken.

Kontakt Dargebotene Hand

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  • Telefon-Nr. 143
  • Kontaktaufnahme per Mail oder Chat: www.143.ch

Auch für Menschen, denen sonst niemand mehr zuhören will

«Oft rufen aber auch Leute an, denen sonst niemand mehr zuhören mag, weil sie immer wieder ums Gleiche kreisen», erzählt Marcel, der 72-jährige Freiwillige aus dem Kanton Zürich, den das SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» eine Nacht lang begleitet hat.

 Und doch würden auch diese einen Austausch brauchen, meint Marcel: «Es sind Menschen mit psychischen Gebrechen, körperlichen Beschwerden, im Altersheim, Zuhause betreut von der Spitex, alte Menschen…»

Durchschn. Hilfesuchende ist weiblich und über 40

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Die Dargebotene Hand wertete im Mai 2021 ihre statistischen Angaben aus und kam zum Schluss: Müsste man die typische Hilfe suchende Person beschreiben, wäre sie weiblich, zwischen 40 und 65 Jahre alt. Sie bringt zudem Sorgen rund um die Alltagsbewältigung, psychische Schwierigkeiten und Einsamkeit zur Sprache. Im Pandemie-Jahr 2020 führte die Dargebotene Hand gegen 200'000 Gespräche. Themen wie Sucht und Suizid haben in diesem Jahr tendenziell zugenommen.

Fünf bis sechs solcher Telefonschichten macht Marcel pro Monat – freiwillig und unentgeltlich. Eine schwierige, aber befriedigende Arbeit, auch wenn die Themen schwer sind und die Schicksale ihn manchmal mitnehmen: «Alle Gespräche gehen mir nahe. Aber genau deshalb mache ich es auch. Weil ich es schätze, am Leben anderer Menschen teilhaben zu dürfen und mitzufühlen.»

Einsamkeit ist unser grösstes Problem.
Autor: Marcel Freiwilliger Dargebotene Hand

Auf die Frage, an was unsere Gesellschaft am meisten krankt und leidet, überlegt Marcel lange. Und sagt schliesslich: «Einsamkeit. Ich glaube, die Einsamkeit ist das grösste Problem. Handys, soziale Medien und Corona haben das noch deutlich verschärft.»

Über Suizidwunsch zu sprechen ist eine enorme Entlastung

Dass Menschen mit konkreten Selbstmordgedanken anrufen sei eher selten, sagt Marcel. Doch es kommt vor. «Wenn ich spüre, dass da ein Todesernst ist, werde ich ebenfalls sehr ernst und frage nach: ‹Ja, wie wollen Sie das denn machen? Wie haben Sie sich das vorgestellt?› Es sei wichtig, mit diesen Leuten ganz konkret über den Suizidwunsch zu sprechen. «Das ist eine enorme Entlastung für sie.»

Ausbildung als Freiwillige oder Freiwilliger dauert ein Jahr

Von der ehrenamtlichen Arbeit bei der Dargebotenen Hand hat der 72-jährige vor mehr als sieben Jahren aus einem Zeitungsinserat erfahren. Damals bewarben sich 70 Personen, 15 wurden genommen. Die Ausbildung dauerte ein Jahr.

Zehn bis 20 Minuten dauere ein Gespräch im Durchschnitt, meint Marcel. Es könne aber auch mal eine Stunde sein – oder mehr. Männer suchten sich weniger Hilfe als Frauen, es sei ihnen peinlicher. «Schade,» meint der Freiwillige aus dem Kanton Zürich. «Denn reden hilft.»

Sommerserie

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Espresso, 06.08.21, 08:13 Uhr

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