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Zahnarztfehler: Ärzte pfuschen und müssen nicht dafür haften
Aus Kassensturz vom 13.10.2015.
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Gesundheit Bei Pfusch können sich Zahnärzte vor der Haftung drücken

Zahnärzte können sich weigern, einen Behandlungsfehler ihrer Haftpflichtversicherung anzugeben. Nicht einmal die Aufsichtsbehörde kann sie dazu zwingen. «Kassensturz» über eine stossende Gesetzeslücke zum Schaden der Patienten.

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Was tun, wenn Ärzte pfuschen?
aus Espresso vom 14.10.2015. Bild: Colourbox
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Sandra B. weiss nicht, woher sie 18'000 Franken nehmen soll. Soviel kosten die Korrekturbehandlungen für ihre Brücke vorne im Oberkiefer. Die Hälfte, 9000 Franken, müsste sie als Vorauszahlung einem Zahnarzt überweisen, damit er überhaupt mit den Korrekturen beginnt.

Dass Zahnärzte bei grösseren Eingriffen auf Vorauszahlungen bestehen ist die Regel. Sandra B. ist ratlos. 9000 Franken? Das sprengt ihr Budget.

«Preise wie in Ungarn»

Dabei hatte es Ende 2011 so schön begonnen, als sie den Flyer einer Praxis in Rafz sah. Darauf stand: «Preise günstiger als in Ungarn». Sandra B. hatte sich seit jeher eine Korrektur ihrer Schaufelzähne gewünscht, weil sie vorne eine Lücke hatte.

Sie wusste, eine Brücke würde zwischen 10'000 und 20'000 Franken kosten. Sie sagt:« Wenn eine Zahnarzt-Praxis eröffnet und es heisst, wir können es günstiger machen, denkt man nicht an das Schlechte.»

Für die Brücke über die Zahnlücke bezahlte sie 5500 Franken. Bald darauf verliess der Zahnarzt die Praxis in Rafz. Dr. Claus Nacke war sein Nachfolger, ebenfalls ein Zahnarzt aus Deutschland. Es sagte ihr nicht, dass der Vorgänger schlecht gearbeitet hätte. Stattdessen wollte er ihr im Unterkiefer eine weitere Brücke einsetzen, für 3550 Franken. Das war Sandra B. zu teuer.

Praxis-Wechsel

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Der Zahnarzt Claus Nacke arbeitet schon lange nicht mehr in der Zahnarztpraxis in Rafz. Nachdem die Praxis ein Jahr leer gestanden war, hat sie Dr. Kai Klimek übernommen. Er kennt seine Vorgänger nicht und hat mit den geschilderten Fällen absolut nichts zu tun.

Wenig später brach ihr ein Zahn ab, sie musste in eine andere Praxis gehen, weil die Telefonleitung in Rafz «tot war». Die neue Zahnärztin sagte ihr sofort, dass «etwas mit der Brücke nicht gut war.»

Roger Naef, Präsident der Zürcher Zahnärztegesellschaft, SSO hat für «Kassensturz» die Arbeiten der beiden Zahnärzte begutachtet. Beide waren nicht Mitglieder der SSO. Für ihn ist klar, der Zahnarzt setzte Sandra B. die Brücke nicht fachmännisch ein: «Sie passt nicht, die Kronen sind viel zu gross, sie ragen ins Zahnfleisch hinein und lösen da Entzündungen aus.»

Roger Naef betont, ein Zahnarzt sei verpflichtet über Risiken und Probleme aufzuklären. Für ihn sei nicht nachvollziehbar, weshalb der zweite Zahnarzt, Dr. Nacke nicht auf die Probleme mit der Brücke hingewiesen hat: «Ich finde das eine Katastrophe. Und er wollte im Unterkiefer noch eine weitere Brücke einsetzen, dabei gibt es andere Probleme, die man zuerst lösen sollte.»

Kein Einzelfall

Sandra B. ist kein Einzelfall. «Kassensturz» weiss von weiteren Patienten von Claus Nacke, beispielsweise Sven H. Der junge Patient schreibt «Kassensturz», dass er aufgrund seiner schlechten Zähne eine komplette Sanierung bei Claus Nacke machen lassen wollte.

Arzthaftung

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Ein Arzt muss für einen entstandenen Folge-Schaden aufkommen, wenn eine Behandlung nicht mit der nötigen Sorgfalt, nach wissenschaftlichen Standards und fachtechnischen Regeln erfolgt ist oder wenn er den Patienten ungenügend über mögliche Risiken aufgeklärt hat.

Die Behandlung begann 2012 in Hombrechtikon, Kosten: 10'000 Franken. Der Vorschuss betrug die Hälfte. Bevor die Behandlung richtig begonnen hatte zog Dr. Nacke in die Praxis nach Rafz. Dann zahlte Sven H. nochmals 2000 Franken. Er versuchte immer wieder einen Termin zu bekommen.

Doch Nacke wechselte plötzlich in eine Praxis nach Luzern. Als der Patient dort anrief und einen Termin vereinbaren wollte, war der Zahnarzt nicht mehr da. Auch auf seinem Handy war er nicht mehr erreichbar.

Die Bilanz von Sven H. nach zwei Jahren: Im Oberkiefer eine provisorische Überkronung, im Unterkiefer sind die Zähne ersatzlos gezogen und 7000 Franken weg. Auch er sagt, dass er sich das Geld lange zusammensparen musste.

Hohe Kosten

In beiden Fällen entstehen den Patienten im Nachhinein hohe Kosten, weil die Behandlung mangelhaft war oder gar nicht beendet wurde. Bleiben sie nun auf den Kosten sitzen?

Ein Zahnarzt muss für Kosten aufkommen, wenn er Sorgfaltspflichten verletzt hat und ein Schaden daraus entstanden ist. Für solche Fälle hat jeder Zahnarzt eine obligatorische Berufshaftpflichtversicherung.

Experte
Legende: Kreso Glavas. SRF

Doch so einfach ist es nicht, sagt der Haftpflichtspezialist Kreso Glavas, der Patienten von Claus Nacke vertritt. Denn Zahnärzte können sich weigern den Schaden ihrer Haftpflichtversicherung anzugeben. Kreso Glavas: «Der Zahnarzt muss den Schaden direkt anmelden und wenn der nicht mitwirkt, dann steht der Patient wahrhaftig im Regen.»

Wegen Claus Nacke wurde auch die Zürcher Kantonszahnärztin, Teresa Leisebach aktiv. Sie hat die Aufsicht über alle Zahnärzte, die nicht Mitglieder der Berufsorganisation SSO sind. Im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens forderte sie Nacke auf, einen krassen Behandlungsfehler der Versicherung anzumelden. Gemäss Aussagen des betroffenen Patienten, weigerte er sich jedoch. Der Patient muss nun Korrekturkosten in der Höhe von 24'000 Franken selber bezahlen.

Direktforderungsrecht fehlt

Die Zürcher Kantonszahnärztin ist ans Amtsgeheimnis gebunden und kann in diesem konkreten Fall keine Auskunft geben. Dass selbst sie in einem solchen Fall nicht eingreifen kann, erstaunt. Teresa Leisebach sagt, dass sie fehlbare Zahnärzte nicht zwingen kann: «Von Rechtswegen sind sie nicht verpflichtet, den Fall der Haftpflichtversicherung anzumelden.»

Expertin
Legende: Teresa Leisebach. SRF

Wenn ein fehlbarer Zahnarzt sich weigert die Haftpflichtversicherung einzuschalten, dann haben die Patienten das Nachsehen. Eine stossende Gesetzeslücke findet die Zürcher Kantonszahnärztin, Teresa Leisebach.

Sie fordert deshalb, dass Patienten in Zukunft Schäden direkt bei der Haftpflichtversicherung eines Zahnarztes anmelden können, also ein sogenanntes Direktforderungsrecht bekommen.

So wie es bei der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung schon lange besteht. Dort können sich Geschädigte direkt an die Versicherung des Unfallverursachers wenden.

«Wir werden das Bundesamt für Gesundheit auffordern, das Problem anzugehen und bei der nächsten Revision das Direktforderungsrecht in das Medizinalberufegesetz aufzunehmen.»

Dr. Claus Nacke schreibt «Kassensturz» in einer Stellungnahme, dass er nicht auf die speziellen Fragen eingehen könne. Er sei bei allen Patienten korrekt vorgegangen und möchte festhalten: «Grundsätzlich werden meine Patienten bei den Untersuchungen über den Gesamtzustand ihrer Zähne und Kiefer informiert. Auch erst kürzlich eingesetzte Kronen von meinen Kollegen werden dabei inspiziert. …Wobei es keinesfalls darum geht, dem Patienten einen Zahnersatz zu verkaufen, sondern darzustellen, was die Folgen eines nicht erfolgten Lückenschlusses sein können.»

Anderweitige Darstellungen seien schlichtweg falsch, schreibt Dr. Nacke und reine Schutzbehauptungen dieser Patienten.

So finden Sie einen guten Zahnarzt

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Studiogespräch mit Thomas Grieder, Patientenanwalt
Aus Kassensturz vom 20.05.2014.
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Was können Patienten in einem tun, wenn sie unzufrieden sind? Wer haftet, wenn in einer ein Zahnarzt pfuscht und warum sorgen Zahnarzt-Klinik häufig für Ärger? Im «Kassensturz»-Studio gibt Patientenanwalt Thomas Grieder Auskunft.

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