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25.10.2011: Wie ein Notfallarzt abzockt
Aus Kassensturz vom 25.10.2011.
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Gesundheit Skandal um Notfallarzt: Abzocker im weissen Kittel

Ein mehrfach vorbestrafter Allgemeinarzt aus München lässt sich im Kanton Aargau nieder und macht weiter wie in Deutschland. Kassensturz deckt auf, wie ein Arzt zulasten der Prämienzahler geschäftet.

Ingo Malm rückt an den Wochenenden samt Team, Sanitätszelt und Rettungswagen in der ganzen Schweiz an Grossveranstaltungen an: Der Allgemeinarzt ist präsent an Open-Air-Konzerten in Frauenfeld, im Zürcher Hallenstadion, am Iron Man oder Basler Marathon. Doch wegen seiner Aktivitäten geht der Krankenkassenverband Santésuisse gegen den Arzt vor.

Jeder zweite Patient ein «Notfall»

«Seine Kosten pro Patient sind zweimal so hoch wie die des durchschnittlichen Allgemeinpraktikers», sagt Silvia Schütz. Auffällig ist nicht nur sein doppelt so hoher Umsatz: «Dieser Arzt rechnet 10mal so viel Notfalltarife ab wie ein Grundversorger im Kanton Aargau. Jeder zweite seiner Patienten ist ein Notfall.» Ingo Malm sagt dazu gegenüber Kassensturz: «Wir sind die Einzige privat betriebene 24-Stunden-Praxis, die 365 Tage im Jahr offen ist. Zwangsläufig haben wir mehr Notfälle.» 20 Prozent seines Umsatzes macht Malm allein mit der Verrechnung des wesentlich teureren Notfalltarifes.

«Dieser Tarif darf aber nur verrechnet werden, wenn ein Arzt alles stehen und liegen lassen muss, um einem Patienten Erste Hilfe zu leisten», erklärt Silvia Schütz von Santésuisse.

Sechsstelliger Medikamentenumsatz

Ärzte dürfen im Kanton Aargau keine Medikamente abgeben, ausser im Notfall. Santésuisse wundert sich deshalb über die lange Liste von über 400 verschiedenen Medikamenten, die Malm verkauft. «Er macht einen Medikamentenumsatz im sechsstelligen Bereich, und das obwohl er nicht selber Medikamente abgeben darf», sagt Silvia Schütz.

Malm entgegnet: «Wir haben einen hohen Umsatz, weil wir eine 24-Stunden-Notfallpraxis sind.» Ausserdem verabreiche er regelmässig und häufig Infusionen und teure Chemotherapeutika direkt am Patienten.

Krankenkassen fordern Geld zurück

Santésuisse hat nun ein Wirtschaftlichkeitsverfahren gegen Ingo Malm eingeleitet. Die Krankenkassen fordern über 700‘000 Franken zurück für zuviel verrechnete Leistungen. Schütz: «Wir hoffen, dass er bis zum Inkasso überhaupt noch in der Schweiz ist und seine Zelte nicht bereits abgebrochen hat.» Malm ist auch unter Kollegen äusserst umstritten. Der Hausärzteverein Bremgarten hat ihn als Mitglied ausgeschlossen. Malms Behandlungen seien weder wirtschaftlich, zweckmässig, noch medizinisch oder ethisch vertretbar.

«An den Diagnosen von Herrn Malm fällt auf, dass sie durch Übertreibungen glänzen», kritisiert Präsident Andreas Weisshaar. «Eine Blasenentzündung wird zu einer Nierenbeckenentzündung. Eine einfache Bronchitis wird zu einer Lungenentzündung.» Das sei purer Neid der Kollegen, entgegnet Malm. Er könne alles beweisen und dokumentieren.

13‘800 Ritalin-Tabletten in 5 Monaten

Fünf Jahre nachdem Ingo Malm in der Schweiz seine ärztliche Tätigkeit aufgenommen hat, steht er in Bremgarten vor Gericht. Laut Anklage hat er einem Drogensüchtigen 13‘800 Ritalintabletten in fünf Monaten abgeben. Das schnell süchtig machende Amphetamin rechnete er zu Lasten der Krankenkasse ab.

Malm will zum laufenden Verfahren keinen Kommentar abgeben. Sicher aber ist, dass er gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat, weil er Ritalin sowie andere meldepflichtige Medikamente ohne Bewilligung des Kantonsarztes abgegeben hat. Diesen gravierenden Verstoss büssten die Aargauer Gesundheitsbehörden mit einer Busse von 2‘500 Franken.

Bettelbriefe an Patienten

Ingo Malm tourt nicht nur als Notfallarzt durch die ganze Schweiz. Er kauft auch neue Praxen dazu. Neben seiner modernen Praxis im aargauischen Rudolfstetten betreibt er zwei weitere Praxen in Bremgarten und Muri. Das kostet viel Geld. Geld, das er anscheinend nicht hat.

Malm schrieb deshalb seine Patienten an und bat sie, ihm ein Darlehen zu gewähren. Der Aargauische Ärzteverband kritisiert Malms Darlehensbrief: «Kreditgeschäfte gehören nicht in eine Arztpraxis», schreiben die Ärzte. Der Verband leitet nun gegen Malm eine Untersuchung ein.

Die Kreditsuche bei Patienten verstösst auch gegen die Standesordnung der Ärzte. Doch für Ingo Malm ist die wirtschaftliche Verflechtung kein Problem: «Wir schaffen keine Abhängigkeit zwischen Arzt und Patient. Wir nehmen nur kleinere Beträge. Wir sorgen nicht dafür, dass sich der Patient in eine wirtschaftliche Abhängigkeit begibt.»

Steuerpfändungen

Das Amtsgericht München hat den Allgemeinmediziner Malm zwischen 1999 und 2004 dreimal strafrechtlich verurteilt: Wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Löhnen, Steuerhinterziehung, Vorenthalten von Versicherungsbeiträgen und anderem mehr.

«Kassensturz» deckt auf: Ingo Malm wirtschaftet in der Schweiz wie in Deutschland. Der Auszug aus dem Betreibungsregister listet in den letzten beiden Jahren 46 Forderungen über rund 700‘000 Franken auf. Die Bremgartner Finanzverwaltung und das kantonale Steueramt pfändeten ihn genauso wie Medisuisse, die AHV-Ausgleichskasse der Ärzte.  

Unbezahlte AHV-Beiträge

Kassensturz konfrontiert den Arzt mit seinem Betreibungsregisterauszug. «Es sind AHV Beiträge offen, es sind auch Steuern offen. Es ist aber eine Vereinbarung mit dem Betreibungsamt getroffen worden, es wird monatlich zurückgezahlt», sagt Ingo Malm und meint: « Das ist noch eine Sache von einem halben Jahr, dann ist die Sache ausgeglichen.» Auf der Betreibungsliste findet sich auch der Name von Lina Tocco. Sie arbeitete  drei Jahre als medizinische Praxisassistentin für Ingo Malm in Rudolfstetten. Der Lohn kam immer später. Und plötzlich blieb er ganz aus. Tocco hatte Lohn und Überstunden zugute. Das Arbeitsgericht Bremgarten hiess eine Forderung von 9200 Franken gut.

Malm zog vor Bundesgericht

Malm zog durch alle Instanzen bis vor Bundesgericht. Die alleinerziehende Mutter konnte in dieser Zeit ihre Rechnungen nicht bezahlen. «Jede Instanz gab mir Recht und trotzdem warte ich seit zwei Jahren auf mein Geld.» Aufgrund der Kassensturz-Recherchen zahlte ihr Malm mittlerweile 7500 Franken. Offen sind mit den Schuldzinsen immer noch rund 3000 Franken.  

«Da ist nichts offen», sagt hingegen ihr Ex-Chef und spricht von einem «Einzelfall». 

Der Kanton Bern verweigerte Ingo Malm vor vier Jahren die Berufsausübungs-Bewilligung wegen mangelnder beruflicher Vertrauenswürdigkeit. Anders der Kanton Aargau: Die Behörden erteilten ihm vor fünf Jahren die Bewilligung. Der Kantonsarzt prüfte bei der Erteilung nur den wenige Monate alte Strafregisterauszug aus der Schweiz.

Malm hat seine Bewilligung bis heute. «Um sie zu entziehen, braucht es sehr schwerwiegende Verstösse gegen gesetzliche Grundlagen», sagt der Aargauer Kantonsarzt Martin Roth. «Ein Entzug muss den rechtsstaatlichen Bedingungen genügen. Wir sind der Auffassung, dass das im Fall von Herrn Malm nicht genügt.»

Fassungslose Hausärzte

Für den Präsidenten des Hausärztevereins Bremgarten ist es unfassbar, dass die Aargauer Gesundheitsbehörden Ingo Malm einfach gewähren lassen. «Wir verstehen nicht, dass jemand mit so einer Vorgeschichte zu einer Berufsausübungsbewilligung gekommen ist», sagt Weisshaar.

«Uns Ärzte ärgert, dass niemand die Verantwortung übernimmt und diesem missbräuchlichen Verhalten endlich den Riegel schiebt.»

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