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Wirrwarr Kleidergrössen: Modeketten machen Schlanke dick
Aus Kassensturz vom 07.04.2015.
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Konsum Wirrwarr bei Kleidergrössen: Gleiche Grösse - 16cm Unterschied

Die identischen Konfektionsgrössen sind je nach Modegeschäft unterschiedlich gross. Ein Test zeigt: Grösse 36 entspricht bei anderen Modeketten Grösse 40. «Kassensturz» erklärt, warum die Kleidergrössen so unterschiedlich sind und wie Modeketten damit Schlanke zu Dicken machen.

Eine 36 ist nicht immer eine 36: Unterschiedliche Konfektionsgrössen sind ein ständiger Ärger beim Kleiderkauf. Auch für Nadia König: Sie braucht gewöhnlich die Nummer 36: «Es gab schon Labels, dort habe ich sogar eine 38 in die Kabine mitgenommen. Das ist für das Ego nicht so toll, wenn man plötzlich eine grosse Grösse braucht.» Nadia König ist Studentin und Freizeitmodell.

«Kassensturz» will mit ihr herausfinden, wie gross die Unterschiede bei der Bundweite von Hosen mit der Nummer 36 sind. Und schickt die Studentin auf Einkaufstour.

Ihr Auftrag: In 12 grossen und bekannten Kleiderläden Hosen der Grösse 36 einzukaufen. Der Schnitt soll möglichst konventionell sein. Teilweise enthalten die Kleidungsstücke einen geringen Anteil Elastan.

Gleiche Grösse – 16 cm Unterschied!

SRF-Kostümbildnerin und -Stylistin Christina Müller vermisst das Model und danach auch die Hosen. Sie stellt fest: Die Unterschiede sind riesig. Einige Hosen sind viel zu gross. In andere kommt das Model gar nicht rein. Tatsächlich: Der Unterschied von der kleinsten 36-er Hose von Tally Weijl bis zur grössten von Coop ist massiv: 16 cm Bundweite oder vier Kleidergrössen.

Dieser Unterschied erstaunt Christina Müller: «Es ist absurd, dass zwei Hosen mit den gleichen Materialien, mit dem gleichen Elastananteil, so einen krassen Unterschied ergeben!» (siehe Tabelle unten)

Das Geschäft mit zu kleinen Grössen

Es ist kein Zufall, dass die Hose von Tally Weijl die kleinste Bundweite hatte. Gewisse Läden wie Tally Weijl haben ihr Geschäftsmodell auf sehr junge und schlanke Kundinnen ausgerichtet. Tally Weijl verkauft als Damenmodegeschäft Kleider bis zur sehr kleinen Grösse 32.

Die Fachfrau ist entsetzt: «Das ist wie eine Kinderhose, die verkauft wird als Damenhose. Ich weiss nicht, wer in diese Hose rein passt. Also wenn das eine Frau ist, dann ist sie sicher nicht gesund ernährt.»

Hosen Grösse 36: Die Unterschiede

BezeichnungLadenTaillen Weite (cm)
Hüft Weite (cm)Preis CHF
Grösse
Hose Knit Milan ZIP, Deep LichenTally Weijl708429.9536
Hose 2.152.1962.89.0063Charles Vögele759049.9536
Clock House, D-HoseC&A779829.0036
Maison Scotch, Chino blau 26Jelmoli7898169.0036
New Yorker, Khaki chinoJelmoli789349.9536
Navy Boot, schwarzSchild789699.9036
Comptoirs CotonniersGlobus7894185.0036
ellen amber, schwarzMigros799449.8036
Hose
Zara799639.9036
MR Chino SlimEsprit809879.9036
Hose, 96119, khakiH&M809239.9036
Trousers YesOrNo, Marine 66Manor8010439.9036
Hose Street OneCoop8610099.9036

Junge Frauen fühlen sich dick

Der Trend zu solch kleinen Kleidergrössen ist besonders für junge Frauen ungesund, kritisiert Gabriella Milos, Leitende Ärztin am Zentrum für Essstörungen an der Universität Zürich. Mittlerweile seien immer jüngere Mädchen von Essstörungen betroffen. Sie vermutet: «So eine enge Hose würde nicht einmal einer Neunjährigen passen! Ich finde es eine negative Entwicklung.»

Bei so engen Kleidern würden junge Frauen das Gefühl bekommen, «mein Körper ist nicht gut, wie er ist». Das führe zu keiner gesunden psychischen und körperlichen Entwicklung und könne schlussendlich auch zu Essstörungen führen.

Tally Weijl schreibt «Kassensturz»: «Die Grössen 32 und 34 sind für Teenager gedacht und bei diesen sehr beliebt.» Man wolle in Zukunft die Linie für Teenager und die Linie für erwachsene Frauen besser trennen.

Die Formel wäre einfach, aber…

Die Willkür mit den Kleidergrössen ist Susanne Noller, Bereichsleiterin Fashion an der Textilfachschule Zürich, wohlbekannt. Dabei gäbe es zumindest für die Oberkleidung durchaus eine logische Grössen-Kennzeichnung als Basis.

Bei Männern ist die Formel einfach: Die Hälfte des Brustumfangs in Zentimetern ist zugleich die Kleidergrösse. Bei Frauen werde aus psychologischen Gründen geschönt: «Man zieht von der Hälfte des Umfangs sechs ab. Das heisst bei einer Frau mit Brustumfang 88cm: 44 minus 6. Das ergibt eine Kleidergrösse von 38.»

Modelabels arbeiten mit «Schmeichelgrössen»

Das Problem: Lediglich zwanzig Prozent der Bevölkerung passen auf die Standardmasse, welche Kleiderhersteller alle zehn Jahre an einer Massenvermessung erfassen. Mode-Expertin Noller erklärt: «Der Durchschnittsbürger ist zwei Kleidergrössen kräftiger geworden in den vergangenen 20 Jahren. Es gibt Firmen, die haben das berücksichtigt. Um den Kunden zu schmeicheln, haben sie ihre Grössen grösser geschnitten.»

Das nennt sich Vanity Sizing, die Schmeichelgrössen. Das sei ist ein ganz klares Geschäftskonzept. Andere passen aber die Grössen nicht an – oder machen aus viel zu knappen Grössen ein Geschäftskonzept.

Das Grössen-Wirrwarr geht noch weiter: Denn neben der deutschen Skala gibt es eine englische, eine Französische, eine amerikanische und dann auch noch die Sportgrössen von S bis XL. Sie alle sind uneinheitlich.

Im Versandhandel ein grosses Problem

Das wird vor allem für Kunden, die im Internet Kleider kaufen zum Problem. Hier bestellt man oft die Katze im Sack. Für Zalando, einen der grössten Online-Verkäufer verschiedenster Label und Marken, wäre eine EU-Einheitsgrösse hilfreich.

Dominik Rief, verantwortlich für den Schweizer Markt, erklärt «Kassensturz», was Zalando alles unternimmt, um seinen Kundinnen und Kunden eine bessere Orientierung zu bieten.

«Wir vermessen auch das Model, an dem das Produkt fotografiert wird, und geben beide Angaben - die Länge und Breite von Artikeln, die dargestellt werden, aber auch die Modelgrösse - auf jeder Produktdetailsseite an», sagt Dominik Reif im «Kassensturz».

Das Kleidergrössen-Wirrwarr wird vielen Kundinnen und Kunden auch weiterhin Ärger bereiten. Denn Bestrebungen, die Kleidergrössen in ganz Europa zu vereinheitlichen, sind bisher aus politischen Gründen gescheitert.

So bleibt den Kundinnen nichts anderes als: anprobieren, anprobieren und nochmals anprobieren.

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