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Gute Forschung zeigt nicht nur die Sonnenseiten

Wie soll «gute Forschung» aussehen? Die Frage wird gerade intensiv diskutiert. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass viel mehr positive als negative Forschungsresultate veröffentlicht werden. Was zu einer völlig verzerrten Wahrnehmung dessen führt, was als wissenschaftlich gesichert gelten darf.

In einigen wissenschaftlichen Disziplinen – insbesondere in der Psychologie und in der biomedizinischen Forschung – läuft gerade eine intensive Diskussion darüber, wie «gute Forschung» eigentlich aussehen sollte. Ausgangspunkt ist das Ungleichgewicht bei den Veröffentlichungen von positiven und negativen Forschungsresultaten. Erstere überwiegen klar.

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Wetten auf die Wissenschaft
aus Wissenschaftsmagazin vom 14.11.2015. Bild: Keystone
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Wenn Forschende herausfinden, dass ein Medikament wirkt oder dass es ein erstaunliches psychologisches Phänomen gibt, dann erfährt die ganze Welt davon. Wirkt dasselbe Medikament in einer Studie hingegen nicht, oder das erstaunliche psychologische Phänomen tritt nicht auf, dann erfährt niemand davon – denn weder die Forschenden, noch die Fachzeitschriften, geschweige denn die Massenmedien haben Interesse an einer Veröffentlichung.

Überblickt man ein Forschungsfeld, stösst man dementsprechend weit und breit nur auf positive Resultate. Im Fall von Medikamenten ist die Gefahr sofort einsichtig: Wenn Negatives zu einem Medikament nicht publiziert wird, dann weiss man davon auch nichts und schadet so der Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Aber auch in der Psychologie entsteht dadurch ein verzerrtes Bild dessen, was man wirklich weiss.

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Was ist gute Forschung?
aus Wissenschaftsmagazin vom 16.05.2015. Bild: Keystone
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Verschärfend kommt hinzu: Die veröffentlichten positiven Studienresultate müssen nicht zwingend korrekt sein. Auch sie können Fehler oder gar Schummeleien von Forschenden enthalten. Die Resultate können lediglich unter seltenen Bedingungen stimmen – oder sind gar rein zufällig zustande gekommen. Das alles nennt man dann «falsch positive» Resultate. Und die Chance ist beträchtlich, dass das Aufsehen erregende Forschungsresultat, über das gerade in der Zeitung oder im Radio berichtet wird, genau solch ein falsch positives ist.

Rezepte gegen falsch positive Resultate

Was tun? Dazu gibt es in der Wissenschaft zahlreiche Ideen. Zum Beispiel kann man Forschende und Fachzeitschriften in die Pflicht nehmen, auch negative Resultate zu veröffentlichen. Das versuchen gerade verstärkt einige Initiativen in der biomedizinischen Forschung.

Oder man kann fordern: Unabhängige Forschende müssen eine Studie jeweils wiederholen, um zu sehen, ob das Resultat wirklich stimmt. «Replizieren» heisst das in der Fachsprache und gilt manchen als Goldstandard der Wissenschaft.

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Diederik Stapel - die Anatomie eines Wissenschaftsbetrugs
aus Kontext vom 10.07.2013. Bild: Tilburg University
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Beispiel Psychologie

Dass die Diskussion zurzeit gerade auch in der Psychologie so hitzig geführt wird, hat mit einigen Forschungsskandalen zu tun, die ein bestimmtes Forschungsfeld der Psychologie in Verruf gebracht haben: die sogenannte «Priming»-Forschung. Da geht es darum, dass sich Menschen – so zeigen es zumindest einige Studien – unbewusst durch Wörter oder andere Reize beeinflussen lassen. Zum Beispiel gehen sie langsamer, wenn sie zuvor Wörter wie «alt» oder «gebrechlich» gelesen oder gehört haben. Oder sie schneiden besser in einem Intelligenztest ab, nachdem sie Wörter wie «klug» oder «genial» gelesen haben. Das zeige, wie subtil wir uns durch unsere Umwelt lenken lassen.

Einer der vehementesten Kritiker dieser Forschung ist der niederländische Psychologe Eric-Jan Wagenmakers. Er müsse immer ein wenig lachen, wenn er von solchen Experimenten höre, sagt er. Leider seien sie sehr schwierig zu replizieren.

Zu streng?

Das sei kein Problem, das speziell die Priming-Forschung betreffe, sondern die ganze Wissenschaft, meint hingegen der bekannte Sozialpsychologe Fritz Strack. Auch er findet Replikationen wichtig, allerdings eher in der angewandten Forschung, wenn es also eben zum Beispiel um Medikamente oder Therapien gehe.

In der psychologischen Grundlagenforschung hingegen hält er wenig davon, denn hier würden direkte Replikationen oder Forderungen nach strengere Publikationsregeln neue wissenschaftliche Entdeckungen eher behindern. «Wenn’s repliziert wird, dann sagt jeder: ‹Gut, das wissen wir.› Wenn es nicht repliziert wird, dann stehen wir da und fragen uns: wieso?»

Mehrfach überprüfen

Eine einzige Replikation genüge natürlich nicht, um einen Befund umzustossen, betont Eric-Jan Wagenmakers. Man müsse mehrere Replikationen durchführen. Das helfe durchaus, den Weizen vom Streu zu trennen. Allerdings kostet das natürlich sehr viel Geld. Dafür kann man dann auch mit etwas mehr Sicherheit davon ausgehen, dass die Resultate einer neuen Studie, über die zum Beispiel auch die Medien berichten, nicht am nächsten Tag schon wieder Makulatur sind.

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