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Hausgeburt: Sicherer als im Spital?

Die meisten Kinder in der Schweiz kommen im Spital zur Welt, nur etwa drei Prozent im Geburtshaus oder zu Hause. Genau so ist es in vielen anderen europäischen Ländern, auch in Grossbritannien. Doch nun empfiehlt die britische Gesundheitsbehörde einen Kurswechsel.

Die neuen Richtlinien der britischen Gesundheitsbehörde NHS sorgten in den letzten Tagen international für Schlagzeilen. Laut dem National Health Service ist eine Geburt zu Hause oder im Geburtshaus nicht nur ebenso sicher, sondern für gesunde Schwangere sogar sicherer als eine Geburt im Spital. Darum sollten schwangere Frauen mit geringem voraussehbarem Risiko besser ausserhalb eines Krankenhauses gebären. Dabei geht der Trend international in die andere Richtung: hin zu mehr Spitalgeburten, mehr Kaiserschnitten, hin zu immer ausgefeilteren medizinischen Techniken von der Pränataldiagnostik bis hin zur Geburtshilfe.

Britische Studie: Ausserhalb des Spitals ist es sicherer

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Wo Gebären? Zu Hause!
aus Wissenschaftsmagazin vom 13.12.2014.
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 54 Sekunden.

Wie kommt die britische Behörde also zu dieser erstaunlichen Empfehlung? Grundlage der neuen Richtlinien ist eine breit angelegte Studie aus dem Jahr 2011 mit über 60'000 Schwangeren – eine der bisher grössten Untersuchungen zu diesem Thema. Was die Geburtsschäden der Babys angeht, unterschieden sich Spital, Geburtshaus und Hausgeburt nicht. Hingegen kam es in Spitälern weitaus häufiger zu Infektionen, und es wurde dort auch öfter in den Geburtsverlauf eingegriffen. Einzig bei Erstgebärenden zeigte sich ein leicht erhöhtes Komplikationsrisiko bei einer Hausgeburt, nicht aber bei einer Geburt im Geburtshaus.

Heidi Caprez begleitet seit über 30 Jahren Hausgeburten im Raum Zug. Für sie sind die Resultate der britischen Studie nichts Neues: In einer kleineren Studie habe man in der Schweiz Ähnliches herausgefunden. Und dass sich Wöchnerinnen im Spital eine Infektion holen, die dann erst einmal geheilt werden müsse, bevor sich die Frauen um ihre frisch geborenen Babys kümmern könnten, dass erlebe sie immer wieder. Auch würden im Spital oft Routineuntersuchungen durchgeführt, die gar nicht nötig seien.

Hausgeburt in zweieinhalb Stunden

Das hat auch Linda Aschwanden so erlebt. Vor drei Wochen hat sie ihr zweites Kind geboren – zu Hause, begleitet von Heidi Caprez. Das erste Kind hatte sie noch im Spital zur Welt gebracht. Beim Eintritt legte man ihr ein CTG-Gerät an den Bauch, um ihre Wehentätigkeit und die Herztöne des Kindes zu messen – eine Routineuntersuchung. «Die Wehen hörten jeweils schlagartig wieder auf, weil ich mich mit dem Gerät am Bauch nicht entspannen konnte», erinnert sich Linda Aschwanden. Mehrmals fuhr sie vom Spital wieder nach Hause, die Geburt dauerte so insgesamt drei Tage – die Hausgeburt des zweiten Kindes hingegen zweieinhalb Stunden.

Erstgeburten dauern jedoch auch sonst meist länger als Zweitgeburten. Für die Hebamme Heidi Caprez ist auch nicht die Dauer einer Geburt massgeblich: «Auf das Gefühl kommt es an – mehr als auf die Länge. Das Gefühl, ich bin zu Hause, an einem sicheren Ort, ich muss nicht aufpassen, wer ins Zimmer kommt, wer hinausgeht.» Während im Spital sich Hebammen und Ärztinnen, die die Gebärende noch nie gesehen hatte, die Klinke in die Hand gaben, hatte Heidi Caprez die Familie über die ganze Schwangerschaft hin begleitet.

Signalwirkung für die Schweiz?

Die Ergebnisse aus Grossbritannien bestätigen also die langjährigen Erfahrungen der Hebamme. Was Heidi Caprez erstaunt und freut, ist, dass die oberste Gesundheitsbehörde in England diese Erkenntnisse jetzt umsetzt. Vom britischen Kurswechsel erhofft sich die Hebamme eine Signalwirkung auch für die Schweiz. Doch hierzulande gibt es kein vergleichbares Gremium wie der National Health Service in Grossbritannien, das Empfehlungen herausgeben würde. Der Hebammenverband setzt sich zwar seit Jahren dafür ein, Geburten zu Hause und im Geburtshaus zu mehr öffentlicher Anerkennung zu verhelfen. Und seit 2012 übernehmen die Krankenkassen die Kosten einer Geburt im Geburtshaus.

Doch die allermeisten Frauen in der Schweiz schätzen die Hausgeburt als zu riskant ein. Und der Berufsverband der Gynäkologinnen und Gynäkologen «gynécologie suisse» ist gespalten. Die Spitalärzte stehen Geburten ausserhalb eines Krankenhauses skeptisch gegenüber. Als Verband will «gynécologie suisse» zu den neuen britischen Richtlinien darum nicht Stellung nehmen. Und mehrere angefragte Direktoren von Frauenkliniken an Schweizer Spitälern wollen zu dem heissen Eisen nichts sagen: Das Thema sei komplex, die britische Studie zu umfassend für schnelle Stellungnahmen.

Britische Sparpolitik im Hintergrund?

Schliesslich erklärt sich Daniel Surbek, Chefarzt der Frauenklinik im Inselspital Bern, bereit für ein Interview. Er räumt zwar ein, dass die britische Studie eine der bisher grössten zum Thema Hausgeburt sei. Aber es gebe auch Untersuchungen mit anderen Resultaten, darunter auch eine US-amerikanische Übersichts-Studie, die viele Einzel-Studien zusammenfasste: «Die Studien zeigen aus meiner Sicht eher, dass man heute besser nachweisen kann, dass bei Geburten ausserhalb des Spitals ein erhöhtes Risiko fürs Neugeborene besteht», so Daniel Surbek. «Zwar passiert nur sehr selten etwas, aber wenn etwas passiert, dann muss die Eingriffsbereitschaft da sein.»

Vor diesem Hintergrund erstaunten ihn die neuen Richtlinien aus Grossbritannien, sagt Surbek, der auch Präsident der Qualitätskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie ist. Er vermutet hinter der neuen britischen Politik auch Sparmassnahmen, weil Hausgeburten günstiger sind als Spitalgeburten: «Möglicherweise wird der britische Staat für Frauen, die ihr zweites oder drittes Kind gebären, Anreize schaffen, zu Hause zu gebären. Das führt dann zur Zweiklassenmedizin.»

Wahlfreiheit für alle Frauen

Von einem solchen Szenario ist man allerdings sowohl in Grossbritannien als auch in der Schweiz weit entfernt, weil es gar nicht so viele Hebammen gibt, die Hausgeburten anbieten. Die britischen Richtlinien besagen denn auch gleich zu Beginn, dass alle Frauen Zugang zu allen möglichen Geburtsorten haben sollten, um eine echte Wahlfreiheit zu gewährleisten. Die ist in der Schweiz noch längst nicht gegeben. Zwar erfahren die Geburtshäuser eine erhöhte Nachfrage, und seit zwei Jahren bezahlen auch die Krankenkassen die Geburt in einem Geburtshaus. Aber noch lange nicht in allen Regionen der Schweiz existiert ein Geburtshaus.

Auch Daniel Surbek sieht die psychologischen Aspekte beim Geburtsprozess. Er sagt, die Spitäler müssten sich noch mehr als bisher um das Wohlbefinden der Gebärenden kümmern, etwa durch eine konsequente Betreuung durch Hebammen. Das sieht Hebamme Heidi Caprez gleich. Für sie wäre auch eine verstärkte Zusammenarbeit der verschiedenen Geburtshelfer – zu Hause, im Geburtshaus und im Spital – wünschenswert. Damit, wie es die Wöchnerin Linda Aschwanden ausdrückt, jede Frau ihren eigenen Weg wählen kann, ihr Kind auf die Welt zu bringen: «Eine Geburt ist wie eine Wanderung. Ich muss jeden Schritt selber gehen. Ich sage nicht, dass alle Frauen zu Hause gebären sollen. Aber ich möchte alle Frauen ermutigen, auf ihr Herz zu hören.»

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