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Die Aufarbeitung im Turnverband erlebt einen holprigen Start
Aus Sportpanorama vom 15.11.2020.
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Ruf nach ethischen Grundsätzen Viola Amherd: «Dann ist dies ein ungutes System»

Die Missstände bei den Turnerinnen im Leistungszentrum Magglingen haben Bundesrätin Viola Amherd erschüttert. Sie will handeln.

Im Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbandes (STV) sind in der Vergangenheit Mädchen und junge Frauen erniedrigt und in ihrer Würde angegriffen worden. Diese Vorfälle hätten sie sehr beschäftigt, sagte Bundesrätin Viola Amherd in einem am Montag veröffentlichten Interview mit den Tamedia-Zeitungen.

Der Fokus im Sport dürfe nicht allein auf Medaillen liegen. Der Erfolg soll nicht der vordergründige Gradmesser sein. Bei der Sportförderung sollen künftig ethische Aspekte ein grösseres Gewicht erhalten, gab die Magistratin zu Protokoll. Bei der Verteilung der Gelder müssten neuerdings ethische Vorgaben mitspielen. Sonst bestehe das Risiko, dass die Kultur und das Fehlverhalten andauerten.

Es herrscht in gewissen Bereichen eine Kultur der Angst. Das ist nicht tolerierbar.
Autor: Viola Amherd Die Sportministerin gegenüber Tamedia

Die Sportministerin zeigt das Dilemma konkret auf: «Der Verband will Erfolg haben, damit er von der Politik Geld bekommt, der Trainer will Resultate, damit er den Job behält. Aber wenn das so weit führt (wie geschehen – d. Red.), dann sind dies die falschen Parameter. Dann ist das ein ungutes System.»

Viola Amherd gestikuliert am Rednerpult.
Legende: Klare Worte, klare Forderungen Die Bundesrätin Viola Amherd sprach erstmals über die Missstände im Leistungszentrum Magglingen. Keystone

Zu lange weggesehen

Es habe sie sehr erstaunt, dass die jungen Frauen sich erst dann getraut hätten, etwas zu sagen, als sie nicht mehr aktive Athletinnen gewesen seien. Im Turnverband herrsche in gewissen Bereichen eine Kultur der Angst. Das sei nicht tolerierbar.

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Amherds Kommunikationschef Kalbermatten: «Sollten vielleicht mehr die ethischen Aspekte ins Zentrum stellen»
Aus Sport-Clip vom 16.11.2020.
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«Da müssen wir grundlegend über die Bücher», sagte Amherd weiter. Es gehe nicht an, dass auf Kinder und junge Menschen in der Pubertät so unglaublich viel Druck ausgeübt werde, dass sie total verunsichert seien und kein Selbstvertrauen mehr hätten.

Wenn ein Verband sich grundsätzlich verändern will, ist es wichtig, dass das auch personelle Folgen hat.
Autor: Viola Amherd über Ihre Erwartungen an den STV

Die Verantwortlichen in den Sportverbänden und in der Politik hätten zu lange weggesehen. Die jüngsten Rücktritte im Turnverband begrüsse sie explizit. Ein Neuanfang könne nicht mit Leuten bestritten werden, die für die Missstände verantwortlich seien.

Im Wiederholungsfall wird Geld gestrichen

Es gebe bereits eine Ethik-Charta zwischen Swiss Olympic und den verschiedenen Sportverbänden. Das reiche aber offensichtlich nicht. Die Politik müsse die Sportverbände enger begleiten und überprüfen, ob die Charta im Alltag auch angewendet werde.

Falls das nicht der Fall sei, müsse der Staat intervenieren und sanktionieren. Dazu fehlten momentan aber die Instrumente. Vorerst will Amherd dem Turnverband keine Mittel entziehen, um nicht Tausende junge Turnerinnen und Turner zu bestrafen.

Bei einem nächsten Fall seien die finanziellen Folgen aber naheliegend. Es scheine, als sei Geld die einzige Sprache, die einige Verantwortliche verstünden, sagte die Sportministerin.

Turn-Schlagzeilen häuften sich zuletzt – eine Chronik

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  • 31. Oktober: Das Magazin des TagesAnzeigers publiziert die sogenannten «Magglingen Protokolle». Darin berichten frühere Athletinnen aus den Sparten Kunstturnen und Rhythmische Gymnastik, wie Einschüchterungen und Erniedrigungen zu ihrem Alltag gehörten.
  • Unmittelbar danach stellt der angeprangerte Schweizerische Turnverband STV die Gründung einer Ethikkommission in Aussicht, die die Vorfälle gründlich aufrollen soll. Die Zusammenstellung des Gremiums musste bereits überdenkt werden. Ebenfalls wird bekannt, dass per Anfang 2021 ein neuer Präsident die Verbandsspitze zieren wird (auf Erwin Grossenbacher folgt Fabio Corti).
  • Am 4. November räumt der Spitzensport-Chef Felix Stingelin, der seit Juli suspendiert gewesen war, seinen Posten.
  • Keine Woche später stellt auch STV-Geschäftsführer Ruedi Hediger sein Amt zur Verfügung.
  • Mittlerweile liegt ein offener Brief des Nationalkaders vor, in dem den amtierenden Trainern der Rücken gestärkt wird.

SRF zwei, «sportpanorama», 15.11.2020 18:30 Uhr;

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