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ATP-Tour Günthardt: «Die vielen Verletzungen stimmen nachdenklich»

Wird Roger Federer Ende Saison noch einmal die Nummer 1? Und weshalb sind so viele Top-Spieler verletzt? Darüber haben wir mit SRF-Tennisexperte Heinz Günthardt gesprochen.

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Die Auftaktpartie von Roger Federer an den Swiss Indoors sehen Sie ab 18:50 Uhr live auf SRF zwei. Bereits ab 13:00 Uhr können Sie in der Sport App und auf srf.ch/sport die Livestreams aus Basel mitverfolgen.

Bei den Swiss Indoors bestreitet Roger Federer sein erst 11. Turnier in dieser Saison. Dennoch hat er immer noch die Chance, das Jahr als Nummer 1 zu beenden. Wie überraschend kommt das für Sie?

Heinz Günthardt: Das konnte man so natürlich nicht erwarten. Es spricht für seine herausragenden Leistungen, dass er sich in diese Situation gebracht hat. Natürlich hat es auch geholfen, dass einige seiner grössten Konkurrenten angeschlagen waren. Bei grossen Turnieren musste er nicht mehr zwei, sondern nur noch einen der «Big 4» ausschalten.

Es gibt zweifellos junge Spieler, die über vielversprechende Anlagen verfügen. Das allein reicht aber offensichtlich noch nicht, um ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen.

Federer nutzte die Gunst der Stunde auf eindrückliche Art und Weise, andere taten dies nicht. Haben es die jungen Spieler verpasst, in dieser Phase in die Bresche zu springen?

Man muss sich tatsächlich fragen: Wo sind die jungen Wilden? Alexander Zverev hat ohne Frage eine grossartige Saison gespielt, auf Grand-Slam-Ebene war er aber noch nicht reif genug. Bei einem Nick Kyrgios weiss niemand, ob er jemals reif genug sein wird. Es gibt zweifellos junge Spieler, die über vielversprechende Anlagen verfügen. Das allein reicht aber offensichtlich noch nicht, um ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen.

Mit Murray, Djokovic, Raonic, Wawrinka und Nishikori fehlen die Top 5 der vergangenen Saison verletzungsbedingt. Ist das bloss Zufall?

Dass ausgerechnet die besten 5 Spieler der vergangenen Saison gleichzeitig ausser Gefecht gesetzt sind, ist sicher ein bisschen Zufall. Es stimmt aber schon nachdenklich, dass in letzter Zeit immer mehr Spieler am Handgelenk verletzt sind.

Heutzutage wird viel seltener auf natürlichen Unterlagen wie Sand oder Rasen gespielt. Der Körper wird dadurch mehr strapaziert.

Wo sehen Sie die Hauptgründe?

In erster Linie hat es mit dem Material respektive der Beschaffenheit der Saiten zu tun. Früher hat man mit Kunstdarm gespielt, der war viel elastischer als die heutigen Nylon-Saiten. Das mag nicht zwingend besser, aber auf jeden Fall armschonender gewesen sein. Hinzu kommt, dass man heutzutage viel seltener auf natürlichen Unterlagen wie Sand oder Rasen spielt. Der Körper wird dadurch viel mehr strapaziert.

Der von vielen Spielern kritisierte ATP-Kalender ist demnach kein Problem?

Das ist schwierig zu beurteilen. Natürlich haben insbesondere die Top-Spieler ein dichtes Pflichtprogramm. Doch man muss auch sagen: Wenn sie nicht spielen, dann trainieren sie oder sind bei Exhibitions engagiert. Es ist ja nicht so, dass man zwei Monate lang kein Racket in der Hand hält. Vielmehr gilt es, langfristig klug zu planen.

Video
Federer und die Vorfreude auf sein Heimturnier
Aus Sport-Clip vom 22.10.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 6 Sekunden.

Federer ist in dieser Hinsicht ein Meister. Das gilt auch für die Swiss Indoors. Sein Heimturnier geniesst seit jeher hohe Priorität, bei seinen letzten 12 Teilnahmen stand er immer im Final. Ist diese Abhängigkeit fürs Turnier nicht auch gefährlich?

Machen wir uns nichts vor: Roger wird man nicht ersetzen können. Wie auch? Einen Jahrhundertsportler gibt es schliesslich nur einmal alle hundert Jahre (schmunzelt). Wir geben uns in der Schweiz Mühe im Nachwuchs, der nächste Roger ist aber noch nicht in den Startblöcken. Ich finde aber auch: Man soll die Feste feiern wie sie fallen. Geniessen wir Federer, so lange wir noch können.

Bei Nadal hatte man zwischenzeitlich das Gefühl, sein Körper würde nur noch durch Kaugummi zusammengehalten.

Zurück zur Einstiegsfrage. Trauen Sie ihm zu, Ende Jahr wieder die Nummer 1 zu sein?

Es wird sehr schwierig. Läuft alles normal, ist Nadal nach den ATP Finals die Nummer 1 und Federer die Nummer 2. Aber der Sport ist doch genau deshalb so interessant, weil er nicht immer vorhersehbar ist.

Die ATP Finals sind der einzige grosse Titel, der in Nadals Palmarès noch fehlt. Schliesst er diese Lücke in diesem Jahr?

Die Vergangenheit hat uns gelehrt, Nadal niemals zu unterschätzen. Man hatte zwischenzeitlich das Gefühl, sein Körper würde nur noch durch Kaugummi zusammengehalten. Und dann kommt wie aus dem Nichts dieses Comeback. Die Vergangenheit hat aber auch gezeigt, dass die Halle nicht das Territorium des Rafael Nadal ist. Deshalb denke ich nicht, dass es ihm in diesem Jahr gelingen wird.

Wenn Sie das bisherige Tennisjahr 2017 in einer Schlagzeile zusammenfassen müssten, wie würde diese lauten?

«Federer und Nadal – wer hätte das gedacht?»

Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 23.10.17, 18:45 Uhr

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