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Lernen – gewusst, wie Nicht nur Menschen lernen fürs Leben

Selbst die einfachsten Lebewesen sind in der Lage, lebenswichtige Dinge zu lernen. Ohne das Phänomen des Lernens sähe das Leben auf der Erde völlig anders aus. «NETZ NATUR» geht den Hintergründen nach.

Heini Gugelmannn ist Tierlehrer und lebt mit seinem kleinen, ungewöhnlichen Zoo in einem wild gepflegten Garten, weit abseits von stinkendem Verkehr und Hektik: Seine Gefährten sind «Blondie», das 20-jährige Zwergschwein, «Ruby», die Dalmatinerhündin, die Entendamen «Daisy» und «Amanda» und viele andere mehr. Kurz, das gesamte vierbeinige und gefiederte Ensemble des «Circus Maus», mit dem Heini Gugelmann mit seiner liebenswürdigen Show Jung und Alt immer wieder begeistert.

Eine Katze balanciert gemeinsam mit zwei Ratten auf einem Balken.
Legende: Zirkus-Stars: Die Sozialkompetenz von Katzen und Ratten macht es möglich, sich so kennen zu lernen, dass sie zusammenarbeiten. SRF

Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen hat er allen diesen Tier erstaunliche Kunststücke beigebracht: Der Siamkater Karlemann balanciert friedlich mit zwei gescheckten Ratten auf dem hohen Balken, die Enten rutschen eine Rampe hinunter, zwei Hunde springen gleichzeitig durch einen Doppelreifen, den ein dritter mit dem Maul hält. Bei seinen ungewöhnlichen Artisten ist so viel Begeisterung zu spüren, wie bei ihrem Lehrer.

Heini Gugelmann erklärt aus erster Hand die Prinzipien des Lernens bei seinen Tieren: Wie sich Katz und Maus kennen und respetieren lernen, wie die Enten das Rutschen auf der Rampe anderen Nachahmen und so erlernen, wie er beim Schwein das Wühlverhalten ausnützt, um ihm beizubringen, eine Glocke zu betätigen – und all das mit viel Liebe, Geduld und Humor, denn emotionale Zuneigung ist ein Grundpfeiler einer positiven sozialen Beziehung bei den Tieren wie bei den Menschen.

Freunde oder Feinde kennen

Am Anfang eines Lebens steht oft das Kennenlernen: Wenn eine Kuh ihr Kalb wirft, dreht sie sich sofort mit tiefen, weichen Stimmlauten um und beriecht und leckt ihr Kleines. Das Kalb hört die weichen Laute, spürt die raue Zunge auf dem nassen Fell – und fühlt sich sofort wohl. So lernt die Kuh den persönlichen Geruch ihres Kalbes kennen, und das Kalb wird sich ihre Silhouette, ihre Grösse und ihre Wärme, aber auch ihren Geruch einprägen. Diese Sinneseindrücke leiten es, wenn es in den nächsten Wochen und Monaten seiner Mutter auf Schritt und Tritt folgen wird.

Dieses Kennenlernen ist die Grundlage jeder sozialen Beziehung – im Positiven wie im Negativen: Es definiert die Beziehung zwischen Mutter und Kind oder zwischen Kuh und Kalb genauso wie jene zwischen potenziellen Beutetieren und ihren Fressfeinden, etwa zwischen Hirsch und Wolf. Lernen als Voraussetzung für Anziehung und Vermeidung, zwei Grundelemente des Sozialverhaltens.

Lernen auf allen Kanälen

Verschiedene Tiere nutzen auch unterschiedliche Sinne für das, was und wie sie lernen: Huftiere oder Hundeartige nutzen dazu vor allem Geruch und Laute– das Sehen hat untergeordnete Bedeutung. Bei den Primaten steht dagegen das Sehen oft im Vordergrund, der Geruch ist meist nebensächlich. Bei Vögeln wiederum ist die Stimme wichtig: Flamingos beispielsweise hören ihr Junges an der Stimme aus Tausenden von Jungvögeln heraus, um es mit einer speziellen Milch aus dem Kropf zu füttern.

Special: Lernen – gewusst wie!

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Zum Homo sapiens wurde der Mensch nur, weil er etwas kann: Lernen. Zwar können auch Tiere lernen, doch die menschlichen Fähigkeiten, sich Neues anzueignen, sind unübertroffen. Doch wie lernen wir am besten – und warum? Zum Special

Alle diese Möglichkeiten, einander kennenzulernen und sich wiederzuerkennen, sind an den Körperbau, die Lebensweise und den Lebensraum der jeweiligen Arten angepasst: Das Lernen nutzt viele Kanäle, um Informationen aufzunehmen und auch um sie auszusenden.

Nicht nur Affen äffen nach

Bei sozialen Tieren gehört es auch dazu, von anderen zu lernen und auch andere an erworbenen Erfahrungen teilhaben zu lassen: Durch simples Nachahmen dessen, was man bei anderen beobachtet hat bis hin zu hochkomplexer Kommunikation. Etwa wenn Honig-Bienen in ihrer Bewegungssprache durch Tanzfiguren den Stockgenossinnen den Ort einer besonderen Futterquelle beschreiben.

Oder wenn Raben einen Kadaver entdecken und ihre Schwarmgenossen durch bestimmte Rufe zum Mahl einladen. Und umgekehrt durch Kommunikation lernen, Gefahren zu vermeiden: Etwa ein junges Dschelada-Männchen, das lernt, eine Drohgebärde des Paschas der Gruppe ernst zu nehmen. Oder die Hirsche in den Alpen die Alarmrufe der Tännenhäher.

Plattwürmer machen's ohne Hirn

Neue Forschungen aus den USA zeigen: Plattwürmer können gelernte Informationen nicht nur im Gehirn, sondern auch im Körper speichern. Man hat sie für eine Aufgabe trainiert und ihnen dann den Kopf abgeschnitten. Die Süsswasser-Würmer regenerierten den Kopf wieder mit neuem Gehirn – und beherrschten die erlernte Aufgabe wie zuvor: Sie hatten also offenbar erlernte Informationen nicht nur im Gehirn, sondern auch anderswo im Körper gespeichert. Der Neurobiologe Michael Levin von der Tufts University in Boston hofft, so einmal Gedächtnisinhalte im Gehirn verändern zu können. Das könnte dereinst demenzkranken Menschen helfen, es wirft aber auch Fragezeichen auf: Es würde so möglich, das Gehirn gezielt zu manipulieren.

Das Leben meistern

Zahlreiche Personen aus Verhaltensforschung und Psychologie haben in den letzten Jahrzehnten unzählige Lern-Experimente mit Tieren durchgeführt – und sich herzhaft über die Ergebnisse gestritten. Inzwischen ist klar, dass es im nichtmenschlichen und im menschlichen Verhalten viele Elemente gibt, die zum Teil erlernt, zum Teil bereits im Erbgut der Art enthalten sind. Hinzu kommt eine ganz neue Dimension der sogenannten Epi-Genetik, bei der Erfahrungen von Individuen aufgenommen und abgebildet werden, so dass sie auf die nächste Generation vererbbar werden.

So sind Lernprozesse in der Natur eine absolute Voraussetzung dafür, dass Individuen und Gemeinschaften die vielfältigsten Herausforderungen des Lebens meistern können. Und der heitere Circus Maus mit seinen äusserst lernfähigen Artisten sorgt nicht nur für gute Unterhaltung, sondern ist gleichzeitig auch eine spannende wissenschaftliche Lektion über verschiedene Formen des Lernens.

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