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Mensch Das Schwein – dem Menschen ähnlicher, als ihm lieb ist

Seit mindestens 8000 Jahren bilden Mensch und Schwein eine Lebensgemeinschaft. Vom Wesen her passen die beiden eigentlich gut zusammen. Doch der Mensch hat das Schwein mittlerweile zu einem unsichtbaren Fleischlieferanten herab gewürdigt. Kulturwissenschaftler Thomas Macho widmet ihm ein Buch.

«Schweine. Ein Portrait von Thomas Macho.» Die Doppeldeutigkeit im Titel – ob gewollt oder nicht – nimmt die These vorweg, die der Autor durchs ganze Buch treibt: Mensch und Schwein sind sich in vielerlei Hinsicht unheimlich ähnlich. Beide sind sie intelligente, verspielte, kommunikative und stressanfällige Wesen und beide fressen sie von Natur aus alles. So viel Ähnlichkeit provoziert Ambivalenz, dies die zweite These Machos.

Cover des Buches "Schweine" von Thomas Macho
Legende: Gewollte Doppeldeutigkeit? Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho widmet dem Schwein ein Buch. Matthes & Seitz

Wie Ähnlichkeit und Abgrenzung in Ambivalenz münden, untermauert der Wiener Kulturwissenschaftler mit vielen Beispielen aus Geschichte und Mythologie. Das Schwein symbolisiert Glück und Fruchtbarkeit genauso wie Unreinheit und Tod.

Edelmütig, ehrlich... Fleischlieferant

In China und Südostasien steht das Bild vom Schwein nach wie vor unter einem guten Stern – Schweine und im Jahr des Schweins geborene Menschen gelten als tolerant, edelmütig, ehrlich und vertrauenswürdig. In den westlichen Industriestaaten hingegen ging das Tier den Weg in die Versenkung. Es liefert keine Milch und keine Wolle und es eignet sich nicht als Transporttier. Es ist ein reiner Fleischlieferant und damit Opfer der technisch optimierten Massentierhaltung und -schlachtung.

Das Schwein – so Macho – sei in den vergangenen Jahrzehnten vom freiheitsliebenden Nutztier zum reinen Verbrauchstier reduziert worden. Es ist heute ein unsichtbares, namenloses Tier, das wir meist nur von Bildern kennen und als Fleisch auf unserem Teller. Allein in Deutschland werden jährlich 60 Millionen Schweine geschlachtet. Die Hälfte des Fleischkonsums in der Schweiz geht auf Kosten des Schweins.

Lebendig hat das Schwein keinen Platz mehr bei uns. (Oder wann haben Sie zuletzt ein Schwein in natura gesehen und beobachtet, dass Schweine gute Läufer und leidenschaftliche Schwimmer sind?) Das war nicht immer so.

Sonnenbrand und Säuli-Toni

Bis in die jüngste Neuzeit waren Schweine Haustiere, die ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen konnten. Die Abfallkost, die ihnen der Mensch vorsetzte, ergänzten sie mit Wurzeln, Nüssen, Eicheln und anderen Leckerbissen, die sie sich vor allem in den Schatten spendenden Wäldern zusammenschnüffelten.

Hier – in seiner ursprünglichen Heimat – fühlte und fühlt sich das Schwein am wohlsten. Denn Schweine können nicht schwitzen und holen sich rasch einen Sonnenbrand. Ihre Eigenschaft, sich in Schlamm und Dreck zu suhlen, ist somit nicht schweinisch, sondern sehr vernünftig.

Trotzdem gilt das Schwein nicht zuletzt deswegen im Judentum und im Islam als unrein. Aus der Antike sind Berichte überliefert, wonach das Schwein schmutzig sei und Schweinehirten folglich weder heiraten noch einen Tempel betreten dürfen.

Im Alten Griechenland und im Christentum wird das Schwein auch mit dem Tod in Verbindung gebracht und mit unreinen Geistern. Jesus treibt die Dämonen eines in einer Grabstätte lebenden Besessenen in eine Schweineherde. Der Heilige Antonius von Kome – ebenfalls viele Jahre in einer Grabhöhle hausend – wird wiederholt von Dämonen versucht, widersteht und ist heute der Schweineheilige, der «Säuli-Toni», wie er hierzulande in katholischen Regionen genannt wird.

Wandmalerei: Schwein mit Glocke um den Hals
Legende: Glöcklein und Speck auf Kosten der Allgemeinheit: Wandmalerei eines Antoniusschweins in einer Kirche in der Steiermark. Wolfgang Sauber, Wikipedia

Wie der Heilige und das Schwein genau zueinander fanden, ist nicht ganz klar. Bekannt ist jedoch, dass der nach dem Heiligen Asketen benannte Antoniter-Orden Schweine hielt. Die «Antoniusschweine» trugen ein Glöcklein und durften frei herumlaufen und sich ihren Speck auf Kosten der Allgemeinheit anfressen.

Das Urteil*

Thomas Macho serviert dem Leser viele spannende Fakten, Anekdoten und Legenden zum Schwein. Leider stütz er sein Leitmotiv vom Schwein, das uns mit seiner Ähnlichkeit zur Abgrenzung zwingt, stellenweise mit sehr lückenhaften Argumentationsketten. Doch ist das Thema so spannend, dass man sich als Leserin aus purem Interesse die Mühe macht, die offenen Stellen durch eigene Recherche zu füllen.

Aber schade ist es dennoch, dass Machos Porträt bisweilen inhaltlich und sprachlich den Eindruck macht, lieblos und hastig aufs Papier gebracht worden zu sein. Das hat weder das kluge Schwein verdient noch die von Judith Schalansky bisher sorgfältig verlegte und bebilderte «Naturkunden»-Reihe im Verlag Matthes & Seitz.

* Apropos Urteil: Schweine mussten im Mittelalter gelegentlich auch vor Gericht erscheinen – etwa wegen des Vorwurfs, Kinder angeknabbert zu haben. Die Tiere wurden wie Menschen abgeurteilt und oft mit dem Tod durch Erhängen bestraft.

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