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Biomedizinische Grundlagenforschung im Umbruch
Aus Wissenschaftsmagazin vom 12.10.2013. Bild: Keystone
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Mensch Die Biomedizin im Umbruch

Die biomedizinische Forschung steckt in einem Dilemma: Je mehr die Wissenschaftler herausfinden, desto komplexer präsentiert sich ihr Forschungsgegenstand. Die Natur von Zellen, Organen und Organismen ist derart kompliziert, dass sich deren Erforschung in immer mehr Spezialgebiete verästelt.

100 Billionen Zellen machen einen Menschen aus. Im Innern jeder einzelnen Zelle herrscht emsiges Tun. In kleinen Untereinheiten werden ohne Unterlass Stoffe produziert, kontrolliert, aussortiert oder nachgebessert, gefaltet, verpackt, verschoben und exportiert. Wie dieses interzelluläre Verkehrssystem funktioniert, das erforschen die aktuellen Medizin-Nobelpreisträger James Rothman, Randy Schekman und Thomas Südhof.

Randy Schekman, Professor an der Universität von Kalifornien, bei einem Pressetermin in seinem Haus.
Legende: Randy Schekman von der Universität von Kalifornien, bei einem Pressetermin. Reuters

Bislang hat die Forschung der drei Laureaten noch nicht zur Entwicklung neuer Medikamente und Therapien geführt. Und dies wird in Zukunft wohl immer häufiger der Fall sein, wenn das Nobelpreiskomitee nach geeigneten Anwärterinnen und Anwärtern sucht – denn die biomedizinische Forschung befindet sich im Umbruch.

Keine grossen Würfe mehr möglich

Wer heute das geheimnisvolle Innenleben von Körperzellen untersucht, wer beobachtet, wie sie sich gesund und im Gleichgewicht halten, wie sie miteinander kommunizieren und zu Organen und Organismen zusammentun, stellt fest: Je mehr man weiss, desto komplizierter wird es. Diese Gleichung gehört zum Erfahrungsschatz der heutigen Forschergeneration. Die Zeit der – auf den ersten Blick als solche erkennbaren – grossen Würfe in den biomedizinischen Wissenschaften ist vorbei und die Zeit der schnellen praktischen Umsetzung, in Form von Therapien und Medikamenten, ebenfalls.

Anne Spang, Professorin für Biochemie an der Universität Basel, kennt es nicht anders. Sie hat in den USA mit dem Nobelpreisgewinner Randy Schekman zusammengearbeitet und treibt die Erforschung des zellulären Transportsystems am Basler Biozentrum voran: «Die Forschergeneration vor uns versuchte, den Grundbauplan und die grundlegenden Mechanismen der Zelle und des Organismus zu verstehen. Wir aber arbeiten nun daran, die Regulation all dieser Vorgänge zu verstehen. Und das wird nicht nur uns, sondern auch die Generation nach uns sicherlich beschäftigen, weil das einfach super komplex ist.»

Forschen an den Grundlagen des Lebens

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Wie merkt eine Zelle zum Beispiel, dass der Körper eine bestimmte Menge Insulin von ihr benötigt. Wie stellt die Zelle sicher, dass das in ihrem Innern produzierte Insulin in der richtigen Menge und Qualität an die Zellmembran befördert und dort zur richtigen Zeit in die Zellumgebung ausgeschüttet wird? Wie und warum, das sind die grossen Fragen, die die heutige Generation der biomedizinischen Grundlagenforscher umtreiben.

Das heisst, es geht heute nicht mehr nur darum zu beschreiben, was in der Zelle passiert, sondern auch darum, warum es passiert und wie solche Prozess gesteuert werden. Denn nur zu gut ist in Erinnerung geblieben, wie schnell die Begeisterung über die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts vor zehn Jahren der Ernüchterung gewichen ist. Nun kannte man alle menschlichen Gene. Doch bald war klar, dass diese zwar etwas zu sagen haben, aber bestimmt nicht das letzte Wort. Denn Gene regieren uns nicht allein. Sie werden vielmehr von anderen Strukturen gesteuert und diese wiederum von übergeordneten, oft noch unentdeckten Schaltzentralen.

Und die Regulatoren der Regulatoren?

Das hat auch Helge Grosshans festgestellt. Er erforscht am Friedrich-Miescher-Institut in Basel die Befehlshierarchien in Zellen. Er ist spezialisiert auf so genannte microRNAs. Das sind winzig kleine Moleküle, die in fast alle biologischen Prozesse involviert sind. Sie unterdrücken z.B. die Aktivität von Zellen, die zu Krebs führen können, so genannte Onkogene, indem sie diese regulieren. Diese Erkenntnis war ein Meilenstein der molekularbiologischen Forschung.

Umso grösser dann die Überraschung, als das Team von Grosshans herausfand, dass diese winzig kleinen Dirigenten ihrerseits gesteuert werden: «Wir dachten zunächst gar nicht daran, dass alles viel komplexer sein könnte und diese regulierenden microRNAs ebenfalls reguliert werden. Heute sehen wir, dass eigentlich jeder Schritt von der Herstellung bis zum Abbau der microRNAs reguliert ist». Doch wer diese Regulatoren der Regulatoren sind, das ist noch immer ein Rätsel.

Was steuert die Aktivität der Gene?

«Noch vor 15 Jahren dachten wir, wir hätten ziemlich gut verstanden, wie eine Zelle funktioniert und wie deren Gene reguliert werden», sagt Anne Spang vom Biozentrum Basel, «und plötzlich tauchten da all diese neuen Steuerungsmoleküle auf wie microRNAs, nanoRNAs, PW und vieles mehr, von dem man vorher keine Ahnung hatte. Das sind allesamt Teile, die sehr wichtig sind zur Regulation von biologischen Prozessen.» Diese Moleküle bestimmen, ob ein Gen ein- oder ausgeschaltet ist. Ob es seinen Teil leistet an der Produktion eines Hormons oder eines Botenstoffs. Ob es zu viel macht oder zu wenig. «Da gibt es noch sehr viel zu verstehen. Es ist immer noch zum grössten Teil ein Rätsel, wie alle diese Regulatoren ineinander greifen», sagt Spang.

Vieles von dem, was in einer Zelle passiert, lässt sich heute dank modernster Technik direkt beobachten. Das war vor kurzem noch undenkbar. Seit rund zehn Jahren ist es möglich, einzelne Proteine mit Fluoreszenzfarbstoffen zu markieren und unter dem Mikroskop zu beobachten, wie diese Eiweisse in lebenden Zellen transportiert werden.

«Die schönsten Momente im Labor»

Die Forschenden können also immer tiefer ins Innere der Zelle schauen. Und was sich ihnen präsentiert sind ständig neue Details. Die biomedizinische Grundlagenforschung verästelt sich deshalb heute in zunehmend kleinere Teilbereiche. Hier arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeweils an kleinsten Puzzleteilchen, die dereinst ein Gesamtbild der Zelle und schliesslich auch von Organen und ganzen Organismen - wie dem menschlichen Körper - ergeben sollen. Anne Spang: «Wenn ich ein kleines Stückchen, das mich wirklich interessiert, verstehen kann, finde ich das schon super toll. Das sind die schönsten Momente im Labor.»

Diese Forschung führt nicht unmittelbar zu therapeutischen Fortschritten. Entsprechend gross ist der Rechtfertigungsdruck, der auf Grundlagenforscherinnen und Grundlagenforschern wie Anne Spang vom Biozentrum Basel lastet. Doch ohne Detailarbeit sind grundsätzlich neuartige, allenfalls sogar massgeschneiderte Therapien gegen Krankheiten wie etwa Diabetes oder zystische Fibrose nicht zu erreichen.

Hoffnung auf Verständnis vom Ganzen

Die Vergabe des diesjährigen Medizinnobelpreises an Forschende deren Erkenntnisse noch keine neuen Medikamente ermöglichten, ist daher auch ein Zugeständnis an die Realität der biomedizinischen Forschung, die sich zwar schnell bewegt, aber eben auf vielen verschiedenen Pfaden. Pfade, die sich – so ist zu hoffen – irgendeinmal in der Zukunft wieder vereinen, um in ein umfassenderes Verständnis vom Ganzen und in bahnbrechende, neue Therapien münden.

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