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Die Wissenschaft braucht Amateure
Aus Kontext vom 29.10.2014. Bild: Keystone
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Mensch Die Wissenschaft braucht Amateure

Wissenschaft betreiben, das können nicht nur Experten an Universitäten und in Forschungslabors. Das können wir alle. Und solche Laien-Wissenschaft ist genauso viel wert wie die akademische – das schreibt zumindest der Wissenschaftstheoretiker Peter Finke in einem neuen Buch.

«Citizen science – das unterschätzte Wissen der Laien» heisst das flammende und provokative Plädoyer für mehr Amateur-Wissenschaft. Ob Hobby-Vogelkundler oder Feierabend-Historikerin, Peter Finke hebt sie alle aufs Podest.

Aktivisten als Bürger-Wissenschaftler

Ein Laien- oder Bürger-Wissenschaftler ist einer, der nicht forscht, weil er dafür angestellt ist, sondern weil er daran schlicht Freude hat; weil er sich engagieren will, oder weil er empört ist, zum Beispiel über Umweltverschmutzung, über das Aussterben einer Tradition, über unseren Umgang mit Migranten.

Zur Person

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Peter Finke, Jahrgang 1942, war Professor für Wissenschaftstheorie und Kulturökologie. Nachdem er 25 Jahre lang an der Universität Bielefeld gelehrt hatte, ging er 2006 aus Protest gegen die Folgen der Bologna-Reform in der Hochschulpolitik freiwillig vorzeitig in den Ruhestand. Heute engagiert er sich im Bereich der Bürgerwissenschaft.

«Die meisten Bürger-Wissenschaftler sind Aktivisten. In ihrem Umfeld gibt es viel Wandel: natürlichen, kulturellen oder sozialen Wandel. Der Bürger-Wissenschaftler will nun verstehen, wieso das so ist, und er will auch gewappnet sein, damit Probleme, die sich da andeuten, behandelt werden können. Diese Lebensnähe ist ganz typisch für ‚Citizen Science‘», sagt Peter Finke.

«Bei den Profis läuft vieles falsch»

Bürgerwissenschaft ist für Peter Finke ein Gegenbild zur heutigen akademischen Wissenschaft, in der seiner Meinung nach gerade sehr vieles falsch läuft. Er selber ist denn auch 2006 aus Protest gegen die Hochschulpolitik freiwillig vorzeitig in den Ruhestand getreten.

Über 95 Prozent der faktischen Wissenschaft, schreibt Peter Finke in seinem Buch, sei völlig unkreativ – grundsolide aber langweilig. Es gehe an den Universitäten auch viel zu oft um Macht, Wettbewerb oder akademische Titel. Dazu komme immer mehr Bürokratie und ökonomischer Druck. Peter Finke zeichnet ein düsteres Bild der akademischen Wissenschaft. Die Rettung sieht er in der Bürgerwissenschaft.

Laien sind keine Handlanger

Damit meint er allerdings nicht in erster Linie die sehr populären und öffentlichkeitswirksam inszenierten «Citizen Science»-Projekte wie zum Beispiel «Zooniverse», bei dem man etwa am Computer Bilder von Galaxien ordnen oder nach neuen Sternen suchen kann. Das sei zwar eine ganz geschickte Möglichkeit, Leute für Astronomie zu interessieren. Aber das sei nur ein Teil der Bürgerwissenschaft, dazu noch einer, bei dem man die Laien nur als kostenlose Datensammler haben wolle. Für Peter Finke ist Bürgerwissenschaft mehr als nur Handlanger-Arbeit.

Laien-Forscher seien nicht auf die Profis angewiesen, sie müssten im Gegenteil den Experten auf die Finger schauen. «Experten können ja nicht durch andere Experten kontrolliert werden. Wo soll denn das enden? Es gibt eigentlich nur eine Instanz, die das tun kann, und das sind die Bürger», sagt er im «Kontext»-Gespräch.

Und wer kontrolliert die Laien?

Peter Finkes Buch legt den Finger auf viele wunde Punkte der heutigen Hochschulpolitik und entwirft eine durchaus charmante Utopie: Zahllose Amateure, die die gesamte Wissenschaft weiterbringen als Wegbereiter am Basislager der «Expedition Forschung». Doch auf einige – durchaus wichtige – Fragen gibt Finke in seinem Buch keine Antwort. Wer zum Beispiel soll die Bürgerwissenschaftler kontrollieren? Trotzdem ist das Buch eine lohnende und sehr inspirierende Lektüre, für Profi-Wissenschaftler ebenso wie für Laien.

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