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Puls kompakt: Wie umgehen mit den Bildern des Kriegs?
Aus Puls vom 21.03.2022.
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Nachgefragt bei der Community So gehen wir mit Kriegs-News um – das sagt die Medienpsychologin

Wir haben die SRF-Community gefragt, wie sie mit der aktuellen Newslage umgeht. Das sagt die Medienpsychologin dazu.

Bilder von Massakern, Videos von Bombeneinschlägen, Tagebücher über den Krieg: Die aktuelle Welt- und Nachrichtenlage ist dunkel – ob wir wollen oder nicht, müssen wir einen Umgang damit finden. Aber wie?

Sich gar nicht mehr informieren? Nur einmal in der Woche? Täglich 20 verschiedene Medien checken oder nur eins? Die SRF-Community hat uns in der Kommentarspalte der aktuellen Einstein²-Folge einen Einblick in ihren Medienkonsum gewährt.

ZHAW-Medienpsychologin Lilian Suter hat fünf Aussagen aus der SRF-Community eingeordnet.

Luege set Johre ke Nachrechte meh. Be deför uf Reddit. Öpper macht halt Memes öber momentäni Situatione. Wenns die interssiert chasch emmer no go noche läse 🤷🏻‍♂️
Autor: Userin TPA

«Eine spannende Entwicklung, die ich und eine Forschungskollegin in letzter Zeit vermehrt beobachten: Viele junge Menschen gelangen über Memes zu den News», so die Expertin.

Bislang war die Reihenfolge umgekehrt: Erst kam die Nachricht, daraus entstand ein satirisches Meme, das den Inhalt der Nachrichten aufgriff. Jetzt entscheidet der Fun-Faktor des Memes, ob ein Teen sich überhaupt für die News, die dahinter stecken, interessiert.

Fake-News-Alarm

Die Schwierigkeit liege darin, dass der Informationsgehalt von Memes grundsätzlich sehr verkürzt sei. «Komplexe Zusammenhänge, die in einem klassischen Newsartikel Platz hätten, fallen also von vornherein weg», so Lilian Suter. Sprich: Das Risiko für die Verbreitung von Fake News oder Fehlinterpretation von Infos steigt deutlich an.

Und noch etwas macht das Ganze problematisch: «Wenn man das Meme nicht versteht, braucht es eine Extra-Portion Motivation, um den Hintergründen nachzugehen. Dass da auch viele sagen: ‹Check ich nicht – weiter geht's zum nächsten Meme›, ist wahrscheinlich.»

Wieso wird in den Nachrichten immer nur über negative Ereignisse berichtet? Ich würde mich freuen, wenn alle Nachrichten mit etwas Positivem starten würden…spread love, not war! 💗✌🏻🕊
Autor: Userin Cassandra

Ja, warum eigentlich? «Viele medienpsychologische Untersuchungen zeigen, dass negative Nachrichten mehr Aufmerksamkeit generieren. Ausserdem sind negative Ereignisse psychologisch betrachtet für Menschen wichtiger fürs Überleben. Darum richten wir unsere Aufmerksamkeit auch eher auf Negatives.»

Das sogenannte «Doomscolling» ist ein Beispiel dafür.

Doomscrolling: Nonstop schlechte News

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«Doomscrolling» ist der exzessive Konsum schlechter Nachrichten im Netz.

Auf manche Menschen üben schlechte Nachrichten oder Unglücke – das englische Wort «doom» heisst übersetzt «Verhängnis, Unglück oder Verdammnis». Faszination aus. Man wechselt zwischen Anspannung, weil man Schlimmes liest, und Entspannung, wenn man nichts Schlimmes findet. Dieser Wechsel fasziniert viele – gleichzeitig kann der Schwall an negativen News unsere Psyche belasten.

Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten sei es, diese Dinge einzuordnen und auch Gegengewichte zu schaffen, wie etwa beim «Constructive Journalism», der auf der Berichterstattung lösungsorientierter statt negativer und konfliktbasierter Nachrichten basiert.

Ich versuche, fast keine News mehr zu konsumieren und mich den gut recherchierten Berichten zu widmen, die nicht nur negative Infos beinhalten. Ausserdem habe ich Push-Benachrichtigungen ausgeschaltet.
Autor: User Basil

«Das ist gesunder Medienkonsum: Push-Benachrichtigungen können in uns das Gefühl hervorrufen, als wäre der News-Konsum fremdgesteuert», so Medienpsychologin Lilian Suter.

Durch das Abschalten und die Entscheidung, sich vor allem hintergründigen Berichten zu widmen, könne man sich Selbstermächtigung zurückerobern, erklärt die Expertin. Das entlastet in Zeiten, in denen man sich von der News-Flut überfordert fühlt.

Seit 2020 nutze ich weder News-Apps noch Social Media. Einmal pro Woche lese ich bei meinen Eltern 1-2 Artikel in der «NZZ». Bisher habe ich nicht das Gefühl etwas verpasst zu haben. Ich bin sogar froh, mich von dieser Informationsflut befreit zu haben.
Autor: User Charles

«Dieses Verhalten wird auch unter dem Begriff ‹Joy of Missing out› diskutiert, also der Freude darüber, etwas in seinem Alltag zu verpassen. Sogar für Newsjunkies kann sich der bewusste Verzicht – nach anfänglicher ‹Fear of Missing Out›, der Angst, etwas zu verpassen, entlastend anfühlen.»

Aber reichen ein bis zwei Artikel pro Woche wirklich, um sich zu informieren? «Fragt sich, was das Ziel meines Medienkonsums sein soll: Will ich eine pflichtbewusste Bürgerin sein, die mittels Informationen die Demokratie mitgestaltet? Oder konsumiere ich Artikel, um mich unterhalten zu fühlen?», so Lilian Suter.

In den sozialen Medien versuche ich dem Thema komplett aus dem Weg zu gehen, da hier häufig auch sehr belastende Bilder und nicht verifizierte Informationen geteilt werden.

«Bilder, die unmittelbar in den sozialen Medien auf uns einprasseln, machen die Ereignisse für uns sehr viel plastischer. Das Problem ist: Auf Instagram oder Twitter ordnet niemand diese Bilder für uns ein.

Wer bemerkt, dass das belastet, sollte versuchen, sich im Konsum einzuschränken – oder auf Medien zurückgreifen, die ihre Informationen speziell aufbereiten: Manche Newsplattformen («Watson» zum Beispiel) publizieren einen Teil ihrer Ukraine-Ticker ohne Bilder. «Ich halte das für eine gute Idee, weil Fotos aus Doneszk oder Melitopol uns kognitiv und emotional wirklich stark einnehmen können.» Am wichtigsten sei, für sich eine gesunde Balance aus Informationssuche und Abgrenzung zu finden.

Tagesschau, 10.04.2022, 19:30 Uhr

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