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DNA als Biodiversitätssensor
Aus nano vom 21.09.2022.
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Sensor für Biodiversität Grosse Hoffnung: Artenvielfalt dank DNA-Schnipseln bestimmen

Ein Forschungs-Projekt der ETH Zürich lotet die Möglichkeiten einer neuen Methode der Artenbestimmung aus. Sie basiert auf der Erfassung von DNA-Schnipseln in der Umwelt. Die Hoffnung bei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen weltweit ist gross.

Das Boot schwankt leicht, als Kristy Deiner sich hinunterbeugt und den Probenbehälter mit etwas Wasser aus dem Hallwilersee füllt. Die Professorin für Umwelt-DNA an der ETH Zürich hat eine Vision: Sie will den weltweiten Artenschutz einen entscheidenden Schritt nach vorne bringen. Und die Probe Seewasser ist der Schlüssel dazu.

Umwelt-DNA fasziniert, weil es sich anfühlt, als ob man alle Sterne des Universums auf einmal einfängt
Autor: Kristy Deiner Molekularökologin, ETH Zürich

Im Wasser schwimmt DNA – ganz und in Bruchstücken. Jede Menge davon. Darauf hat es die Molekularökologin abgesehen. Denn die DNA verrät, wer alles im und rund um den Hallwilersee lebt. «Umwelt-DNA fasziniert, weil es sich anfühlt, als ob man alle Sterne des Universums auf einmal einfängt», schwärmt Deiner.

Auf dem Bild ist eine Frau vor einem See zu sehen.
Legende: Kristy Deiner ist eine von nur drei ProfessorInnen für Umwelt-DNA in Europa SRF

Aufwendig, langwierig und teuer

Bisher ist die Überwachung der Artenvielfalt aufwendig und teuer. In regelmässigen Abständen werden in teils wochenlanger Feldarbeit Pflanzen-, Pilz-, Tierarten oder ihre Hinterlassenschaften gesammelt, gefangen, gezählt und kartiert. Die erhobenen Daten sind dadurch kaum vergleichbar, was es oft schwierig macht, ein Gebiet einheitlich zu erfassen.

Umwelt-DNA – auch environmental oder eDNA genannt – ermöglicht die Erfassung der Artenvielfalt schnell, einfach und kostengünstig. Und alle Arten werden mit der gleichen Methode erfasst.

Spuren in der Umwelt verraten Anwesenheit

Jedes Lebewesen hinterlässt permanent Spuren seiner individuellen Erbinformation in der Umwelt. Laub, Kot, Federn, Schleim – überall steckt DNA drin. Diese lässt sich sammeln und wird anschliessend sequenziert. Herauskommt eine lange Liste an DNA-Sequenzen, also Buchstabenabfolgen.

Um herauszufinden, von welcher Art die einzelne Sequenz stammt, ist ein Abgleich dieser mit in DNA-Vergleichsdatenbanken hinterlegten Sequenzen nötig. Das Problem: Die Datenbanken sind lückenhaft. Die Sequenzen zahlreicher Arten fehlen. Verschiedene ambitionierte Projekte wollen dies in den kommenden 10 Jahren allerdings ändern.

Paradigmen-Wechsel in der Forschung

Für Kristy Deiner steht das Potenzial der Methode daher auch nicht in Frage. «Für Wissenschaftlerinnen, Biologen, Ökologinnen ist das wirklich ein Paradigmen-Wechsel, weil wir jetzt einen Zugang zu Informationen haben, den wir so noch nie hatten.» Auch erste Anwendungen in der Praxis sind vielversprechend.

Anwendung in der Praxis

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Umwelt-DNA wird bereits erfolgreich in der Praxis angewendet, wenn es um das Auffinden seltener oder gebietsfremder Arten geht. So verfolgt beispielsweise der Kanton Aargau am Hallwilersee ein Neobiota-Schutzprogramm. Massnahmen sollen verhindern, dass invasive Arten wie Quaggamuschel oder Süsswassergarnele in den See gelangen.

Statt den gesamten See regelmässig nach den unter Beobachtung stehenden Arten abzusuchen, entnehmen die Kantonsbiologen zur Wirkungskontrolle Wasserproben. Diese überprüfen sie dann gezielt nur auf die DNA der gesuchten Arten. Deren DNA-Sequenzen sind bereits gut dokumentiert und lassen sich daher leicht in den Datenbanken abgleichen. Der grosse Vorteil: Ein tatsächlicher Sichtkontakt mit der Art ist nicht nötig. Bereits die DNA verrät ihre Anwesenheit.

Möglich sei aber noch viel mehr, ist Kristy Deiner überzeugt. Ihr Ziel sind breite, grossflächige Anwendungen. Weil DNA mobil ist, geht sie davon aus, dass sich die gesamte Artenvielfalt im ganzen Wasser-Einzugsgebiet eines Sees mit Umwelt-DNA erfassen lässt.

«Sobald DNA ins Wasser gelangt, wandert sie mit dem Wasser. Man kann sich gut vorstellen, wie DNA in einen Fluss gelangt und dann zum See fliesst, sodass der See wie ein Schwamm wirkt, der all die DNA aufsaugt. Und vermutlich ist sie lang genug da, dass wir sie sammeln können. Die Information, die wir so erhalten, ist für die gesamte Wasserscheide», erklärt Deiner.

Prinzip Wasserscheide

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Legende: Der Hallwilersee hat ein Einzugsgebiet von 128 Quadratkilometern. SRF

Das Wasser eines Sees wird durch die Wasserscheide bestimmt – also dem Punkt an Land, an dem Wasser in die eine oder andere Richtung abfliesst. So hat der Hallwilersee ein Wasser-Einzugsgebiet von 128 Quadratkilometern.

Insgesamt untersucht das Team um Kristy Deiner acht etwa gleich grosse Seen, aber mit unterschiedlich grossen Wasser-Einzugsgebieten. Je grösser das Einzugsgebiet, desto grösser sollte der zu findende Artenreichtum sein.

Weltweit gibt es gut 1,4 Millionen Seen, die durch ihre Einzugsgebiete gut 25 Prozent der Erdoberfläche abdecken. Durch einfache Wasserprobenentnahme könnte künftig also die Biodiversität einer immens grossen Fläche erfasst werden. Kristy Deiner steht bereits in Kontakt mit Forschenden weltweit, um ihre Vision möglichst schnell Wirklichkeit werden zu lassen.

nano, 21.09.22, 11:05 Uhr

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