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Warum Murgänge bei schönstem Wetter?
Aus SRF News vom 23.08.2018.
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Bergsturz in Bondo Was geschah am Piz Cengalo wirklich?

Unmittelbar nach dem Bergsturz entstand ein Murgang, der bis nach Bondo vorstiess. Experten sprachen von einem einzigartigen Phänomen. Nun liegen erste Erklärungen vor.

Damit aus einem sogenannt «trockenen Bergsturz» ein Murgang entsteht, braucht es Wasser – viel Wasser. Denn Wasser reduziert die Reibung und vermengt sich mit dem Geröll zu einer seifenartigen Gleitmasse, die dann einen Murgang bildet.

Murgänge entstehen erst nach intensivem Regen

Nach dem Bergsturz dauerte es nur 30 Sekunden, bis die Gerölllawine durch das Val Bondasca donnerte und bis nach Bondo vorstiess. Acht Menschen starben bei dieser Naturkatastrophe, Teile von Bondo wurden zerstört. Damit hatten weder die Einwohner von Bondo, noch die Behörden oder die Experten gerechnet.

Aber woher kam das dafür benötigte Wasser? Zurzeit des Bergsturzes herrschte in Bondo trockenes Wetter und stahlblauer Himmel.

Häuser versunken in Stein und Geröll.
Legende: Der Bergsturz am Piz Cengalo löste am 23. August einen Murgang aus, der bis nach Bondo vorstiess. Keystone

Erfahrungsgemäss entstehen Murgänge erst nach intensiven Niederschlägen. Die Behörden reagierten schnell und setzten eine hochkarätige Expertengruppe ein, die dieses Rätsel lösen sollten.

Anfangshypothese: Gletscher verflüssigt

Die Wissenschaftler zogen nach dem Ereignis sofort los, vermassen den Bergsturz und rechneten die Murgänge im Computer nach. Im letzten Dezember trat die Expertengruppe vor die Medien und präsentierte eine erste Erklärung: Der Bergsturz fiel auf einen Gletscher.

Durch den Aufprall wurde Energie freigesetzt, welche das Gletschereis zum Schmelzen brachte. Das Wasser wurde in die Bergsturzmasse eingebaut und löste einen Murgang aus. «Es war eine naheliegende Erklärung und unsere erste Arbeitshypothese», sagt Florian Amann.

Drei grosse, schneebedeckte Berge, und darunter viel Schutt und Geröll.
Legende: Der Bergsturz löste sich im linken Teil des Piz Cengalo (Bildmitte). Keystone

Der Geologe und sein Wissenschaftlerteam gaben sich damit aber noch nicht zufrieden, forschten weiter, analysierten Daten- und Bildmaterial und werteten alle Zeugenaussagen nochmals akribisch aus. Dann fanden sie erste Hinweise, die gegen die Anfangshypothese sprachen – unter anderem in Videoaufnahmen vom Bergsturz.

Neue Theorie: wassergesättigte Sedimente

«Wir haben auf den Videoaufnahmen des Bergsturzes gesehen, dass der Gletscher regelrecht ‹weggesprengt› worden ist und als eine Art Eisnebel durch die Luft geflogen ist», erläutert Amann. Das pulverisierte Eis habe sich oben auf der Bergsturzmasse abgelagert und wurde nicht mit den unteren Schichten der Geröllmasse vermischt.

Amanns neue Theorie besagt: Die Felsmasse stürzte auf Sedimente, in deren Poren schon zuvor viel Wasser gespeichert war. «Man kann sich das vorstellen wie einen Schwamm, der gesättigt ist mit Wasser», erklärt Amann. Durch den Druck der Bergsturzmasse wurde das Wasser aus den Poren herausgepresst.

Laut Amann, berichteten Augenzeugen von «geysirartigen» Wasserfontänen: «Das sei typisch für solche Vorgänge». Das herausgepresste Porenwasser bildete eine Gleitmasse, welche den Schuttstrom auslöste.

Konsequenzen für zukünftige Risikobeurteilungen

Für den Geologen hat diese neue Theorie Konsequenzen für zukünftige Risikobeurteilungen von Bergstürzen. «Wenn wieder so ein Ereignis wäre, dann würde ich mich weniger auf den Berg konzentrieren, sondern mehr auf das, was im Tal liegt, ob es da wassergesättigte Sedimente hat.»

Immer wieder wurde vermutet, der Klimawandel sei für die Katastrophe mitverantwortlich. Aber welche Rolle spielt der Klimawandel wirklich? Solche Ereignisse würden nur alle 30 Jahre passieren, so der Geologe. «Da fehlen uns schlichtweg die Daten, um einen Zusammenhang mit der Klimaerwärmung herzustellen».

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