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Wie die Säugetiere zu Intelligenzbestien wurden
Aus Wissenschaftsmagazin vom 02.04.2022. Bild: Imago / HEN-FOTO
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Schlaue Säugetiere Zuerst kamen die Muskeln, dann das Gehirn

Säugetiere sind die Intelligenzbestien der Tierwelt. Sie haben grössere Gehirne als alle anderen Lebewesen. Eine Studie an Jahrmillionen alten Fossilien hat untersucht, wie es dazu gekommen ist.

Während Jahrmillionen lebten Säugetiere im Schatten der Dinosaurier. Sie waren viel kleiner als heute und unscheinbar, aber vielfältig. Manche von ihnen kletterten auf Bäume, andere konnten schwimmen, wieder andere lebten unter dem Erdboden.

Doch dann schlug vor 66 Millionen Jahren ein gewaltiger Asteroid auf die Erde ein. Den Dinosauriern brachte er den Tod – den Säugetieren die Chance zum Aufstieg.

Paläozän-Fossilien als Forschungsgrundlage

Dies sei eines der grössten Rätsel der Erdgeschichte, sagt die Paläontologin Ornella Bertrand, die als Postdoktorandin an der Universität Edinburgh in Schottland forscht: «Warum schafften es die Säugetiere, aber die Dinosaurier nicht? Waren die Säugetiere vielleicht schlauer?»

Antworten fand Ornella Bertrand dank der Gehirne der damaligen Tierarten. Die gebürtige Französin machte sich auf die Suche nach Fossilien aus dem Paläozän – so heisst die zehn Millionen Jahre dauernde Epoche, die auf den Asteroiden-Einschlag folgte. Dabei half ihr und ihrem Team, dass in den letzten Jahren in den nordamerikanischen Badlands, einer einzigartigen Felslandschaft im Nordwesten von New Mexiko, eine ganze Reihe von Tierschädeln und -skeletten aus dem Paläozän entdeckt worden war.

Epochen der Erdneuzeit
Legende: Entwicklung der Säugetiere SRF

Schliesslich hatten die Forschenden aus Edinburgh über 100 Schädel von 17 Tierarten aus dem Paläozän gesammelt – ein bis dato einmaliger Datensatz. Bertrand und ihr Team vermassen die Fossilien mit Hilfe des Computertomographen. Aus Tausenden von Schichtaufnahmen eruierten sie von jedem Schädel die Grösse des Hirns. Und zu ihrer Überraschung waren diese durchs Band ziemlich klein. «Nur jene Hirnregionen waren gut entwickelt, die es braucht, um eine grössere Körpermasse zu kontrollieren», sagt die Paläontologin.

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«Ein grosses Gehirn zu haben, verursacht sehr hohe ‹Unterhaltskosten›»
Aus Wissen vom 06.04.2022.
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Nun war zwar schon aus früheren Studien bekannt, dass im Paläozän die ehemals kleinen Säuger enorm an Grösse zulegten. Aber bislang war die Forschung davon ausgegangen, dass die Hirnmasse dabei gleichmässig mitwuchs. Bertrands Resultate liefern einen anderen Befund: Nur die Körpermasse der Tiere nahm zu – der Hirnschmalz hingegen nicht. Wie lässt sich dies erklären?

Ein grosses Hirn war nicht von Nutzen

«Um nach der Asteroiden-Katastrophe die frei gewordenen ökologischen Nischen zu besetzen, nützte den Säugetieren ein grosses Hirn nicht viel. Körpermasse und Grösse hingegen schon.» Ein grosses Hirn hätte die Säugetiere zudem sehr viel unnötige Energie gekostet, so Bertrand. Sie hatten es nicht nötig, in ihre Hirnentwicklung zu investieren, da es unter ihnen kaum Wettbewerb und genügend einfache Futternischen gab.

Es gibt verschiedene Thesen

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Legende: Pantolambda ist eine ausgestorbene Gattung von pantodontischen Säugetieren aus dem Paläozän. Die Tiere lebten während des mittleren Paläozäns und wurden sowohl in Asien als auch in Nordamerika gefunden. Heinrich Harder – The Wonderful Paleo Art of Heinrich Harder

Im Paläozän «nützte» ein grosses Gehirn nichts: Diese These hält Sandra Heldstab, die an der Universität Zürich ebenfalls zur Evolution der Säugetiere-Gehirne forscht, grundsätzlich für plausibel. Gemäss Heldstab sind aber auch andere Erklärungen denkbar. Zum Beispiel «dass durch den Auslöser des Massensterbens – sei es durch einen Vulkan oder Asteroiden – die Umwelt extrem unbewohnbar wurde und Nahrung sehr knapp.» Infolge dieser Nahrungsknappheit hätten es sich die Tiere gar nicht leisten können, in ihre Hirnentwicklung zu investieren.

Zudem sei es im Paläozän auch zu akuten Klimaveränderungen mit lang anhaltenden Kälteperioden gekommen, erklärt Sandra Heldstab weiter. «Das heisst die Tiere brauchten mehr Energie, um ihre Körpertemperatur konstant zu halten.» Erst im Eozän sei es wärmer geworden und habe es wieder mehr Pflanzen gegeben, «genau zu dem Zeitpunkt, als die Hirngrösse der Säugetiere zunahm.» Allerdings seien diese Zusammenhänge noch wenig erforscht, es brauche mehr Daten, um klare Aussagen zu machen, betont Sandra Heldstab.

Dabei blieb es nicht. Nach zehn Millionen Jahren, es war der Beginn des Eozäns, waren die ökologischen Nischen dicht besetzt. Die einzelnen Arten mussten sich gegeneinander behaupten, um neue Futterquellen zu ergründen. «Sie versuchten, besser zu sehen, höher zu springen oder schneller hinter der Beute herjagen als die Konkurrenz», sagt Ornella Bertrand. «Dabei waren die cleveren Tiere überlegen.» Das heisst, im Eozän investierten die Säugetiere dann auch in ihre Hirngrösse, um sich durchzusetzen.

Es waren am Ende also doch die «Brainies» unter den Säugetieren, die vor 56 Millionen Jahren einen Überlebensvorteil hatten. Aus ihnen entwickelten sich die Vorgänger der Huftiere und Nager, Fledermäuse und Katzenartigen – und Primaten. Eine grosse Vielfalt, schon damals.

Wissenschaftsmagazin, 02.04.2022, 12:40 Uhr

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