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Natur & Tiere Ein Käfer als biologische Wunderwaffe

Welch ein Hitzesommer. Auf der Alpensüdseite war 2015 gar der heisseste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Doch die Tessiner Allergiker profitieren von der trockenen Hitze, denn durch sie hat sich der Blattkäfer rasant vermehrt – er frisst am liebsten die stark allergene Ambrosia-Pflanze.

Wo sonst die Ambrosia-Pflanzen blühen, herrscht im Tessin dieses Jahr Kahlfrass. Über 70 Prozent der Bestände der invasiven und ausserordentlich allergenen Pflanze sind gefressen worden – vom Ambrosia-Blattkäfer.

Für den Biologen Heinz Müller-Schärer von der Universität Fribourg ist der vier Millimeter grosse, gepunktete Käfer eine «biologische Superwaffe». Wie sie funktioniert, konnte er während den letzten Wochen im Tessin und im grenznahen Italien erleben. Dort wuchert die invasive Ambrosia-Pflanze besonders stark, was dazu geführt hat, dass bis zu 18 Prozent der Bevölkerung im Raum Mailand an einer Ambrosia-Allergie leidet. Doch dieses Jahr ist das anders.

Biologische Fressmaschinen

Der aus dem heissen Süden Nordamerikas eingeschleppte Käfer fühlt sich in der Wärme richtig wohl, so dass er sich rasant vermehrt. Und je mehr Käfer es gibt, desto mehr Ambrosia-Pflanzen fallen ihnen zum Opfer. Das hat dazu geführt, dass die Pollenbelastung auf der Alpensüdseite diesen Sommer kleiner ist als sonst, wie die Messergebnisse der Pollenstationen im Tessin und in Norditalien zeigen.

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Ambrosia blüht von August bis Oktober und produziert dabei bis zu einer Milliarde Pollen pro Pflanze. Die Pollen verursachen Allergien und können beim Einatmen bis tief in die Lungen gelangen und Atemnot verursachen. Wenn die Pflanze bereits blüht, können ihr die meisten Herbizide nichts mehr anhaben. Das hilft nur noch: mit der Wurzel ausreissen.

Selbst aktuelle Zahlen der lombardischen Apotheken bestätigen die Entwicklung: Die Verkaufszahlen von allergielindernden Antihistaminika ist massiv gesunken. Könnte man die für Allergiker und Asthmatiker so gefährliche Ambrosia-Pflanze mit dem Blattkäfer auch nördlich der Alpen in den Griff bekommen?

Grosses Potenzial für die Alpennordseite

Dort haben die Behörden die Ausbreitung der Pflanze zwar weitgehend im Griff. Doch die Bekämpfung ist teuer, die Ausreissaktionen sind mühsam und langwierig. Zudem können Ambrosiasamen über 30 Jahre im Boden verbringen um dann zu neuer Blüte zu gelangen. Lässt die Bekämpfung etwas nach, ist die Pflanze also sofort wieder da.

Für den Biologen Heinz Müller-Schärer ist darum klar: Die Ansiedlung des Blättkäfers als Biowaffe muss nördlich der Alpen ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Denn der Käfer wird sich wegen der Klimaerwärmung auch im Norden immer wohler fühlen.

Als nächstes müssen die Biologen um Heinz Müller-Schärer beweisen, dass der Blattkäfer nicht auf andere Pflanzen umsteigt, wenn er keine Ambrosia mehr zur Verfügung hat. Dass er sich nicht – wie häufig befürchtet – über die Sonnenblumen hermacht, konnten die Forscher bereits in einem Feldversuch beweisen.

SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 29. August 2015

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