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Natur & Tiere Lässt sich das Leben berechnen?

Die Systembiologie hat die Genforschung als Hoffnungsträgerin abgelöst. Einige sprechen gar von einem Paradigmenwechsel. Dies mag etwas hochgegriffen sein, doch vieles ist tatsächlich neu in der Systembiologie. Allen voran der Umgang mit riesigen Datenmengen und mathematischen Modellen.

Es geht um viel Geld. 450 Millionen Franken erhält die Forschungsinitiative SystemsX.ch bis 2016. Es ist die grösste Forschungsinitiative, welche die Schweiz je unternommen hat. Ihr Ziel: Einen neuen Forschungsansatz in den Köpfen der Schweizer Biologen und Biologinnen zu verankern, nämlich die Systembiologie. Diese untersucht nicht einzelne Moleküle wie etwa die Gen-Forschung, sondern die komplexen biochemischenZusammenhänge in den Zellen und im Körper.

SystemsX.ch in Zahlen

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Laufzeit: 2008 - 2016

über 1000 Forscher und Forscherinnen

über 100 Projekte

Kosten: 450 Millionen Franken

geleitet von den Universitäten, den beiden ETHs und weiteren Forschungsinstituten

Ihr wichtigstes Werkzeug sind Computermodelle und Computersimulationen. „Mit Hilfe der Simulationen möchten wir voraussagen, wie sich ein biologisches System unter bestimmten Bedingungen verhält“, sagt Ruedi Aebersold von der ETH Zürich. Im Rechner bauen die Systembiologen also virtuelle Abbilder von Körperzellen.

Doch weil die Abläufe in den Körperzellen sehr komplex sind, arbeiten viele Systembiologen mit einfachen Organismen, etwa mit Hefe. Sie wollen zum Beispiel herausfinden: Wie reagiert eine Hefezelle, wenn plötzlich ihre bevorzugte Nahrungsquelle aus der Umwelt verschwindet. Wie ändert sich ihr Wachstum? Welche Stoffwechsel-Enzyme in ihrem Innern werden auf-, welche abgebaut?

Das sei alles gar nicht neu, lautet eine viel geäusserte Kritik an der Systembiologie. Der 84-jährige britische Nobelpreisträger Sydney Brenner sagte in einem Interview: «Natürlich muss man das System studieren, aber das hat die Biologie schon immer getan. Wir nannten es einfach nicht Systembiologie, sondern Physiologie.»  Dass die Systembiologen  im Unterschied zu den Physiologen – viel mehr Daten sammeln und auswerten ist für Brenner kein Fortschritt, sondern führe gar in die falsche Richtung: Das Datensammeln werde zum Ziel an sich. Die Systembiologen würden in der Datenflut versinken, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was sie eigentlich suchen.

Forschung dank technischer Revolution

Systembiologe Aebersold lässt diese Kritik nicht gelten: «Das war in den Anfängen der Systembiologen vielleicht teilweise der Fall, aber heute nicht mehr.» Für Aebersold ist moderne Biologie ohne System-Ansatz undenkbar. Denn die Systembiologie sei die logische Folge einer technischen Revolution. Diese nahm Mitte der Neunzigerjahre ihren Anfang mit immer leistungsfähigeren DNA-Analysegeräten.

Weitere Durchbrüche folgten und die Biologen hatten immer mehr Daten über die Vorgänge in den Zellen zur Verfügung. Um diese Daten zu ordnen und herauszufinden, wie sie miteinander zusammenhängen, reicht der menschliche Verstand nicht mehr aus – es braucht die Rechenkraft von Computern. «Früher», sagt Aebersold, «konnten die Biologen einfache Skizzen machen, wie eine Handvoll Moleküle miteinander zusammen hängt. Heute geht das nicht mehr.»

Simulationen des menschlichen Hirns

Mit den Computermodellen nehmen die Systembiologen nicht nur einfache Organismen wie Hefezellen ins Visier. Auch das menschliche Gehirn wird bereits modelliert. Etwa am gemeinsamen Institut für Biomedizinische Technik von ETH und Universität Zürich. Hier arbeitet der Mediziner und Neuroinformatiker Klaas Enno Stephan. «Wir versuchen mathematische Modelle von Hirnfunktionen zu bauen. Diese wolllen wir dann für praktische Anwendungen in der Psychiatrie nutzen», sagt Stephan.

Konkret geht es darum, die Diagnose und Behandlung von Patienten mit Schizophrenie zu verbessern.  Klaas Enno Stephan will die Mechanismen der Krankheit verstehen, denn diese liegen noch immer im Dunkeln. Daran hat auch die moderne Gen-Forschung hat nichts geändert. Zwar wurden viele Gene gefunden, die bei Schizophrenie verändert sind. Doch diese Funde erklären nicht, wie die Krankheit entsteht.

Klaas Enno Stephan füttert seine Computer-Modelle mit Daten aus Hirnscannern, etwa fMRI-Scannern. Er vermisst also das Gehirn der Patienten. Stephan sagt: «Wir messen den aktuellen Funktionszustand des Gehirns und versuchen dann mit Hilfe der mathematischen Modelle auf die aktuellen neuronalen Mechanismen zurückzurechnen, die einen Krankheitsprozess ausgelöst haben.»

Was haben wir verstanden?

Für den Wissenschaftsphilosophen Marcel Weber von der Universität Genf stellt sich wegen der komplexen Modelle der Systembiologen auch eine grundlegende Frage: «Wird unser Verstehen von Naturprozessen durch diese Art der Forschung noch auf die gleiche Art und Weise vorangebracht wie durch die klassischen Methoden?» Kurz: Was haben wir verstanden, wenn wir es ohne Computer nicht verstehen?

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