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Computerspielen – aber nur mit Gedanken

Am Cybathlon der ETH Zürich spielen Teilnehmer ein Game allein durch Gedanken – dank Brain-Computer-Interfaces. Was ist alles anders, wenn Spieler keine Knöpfe mehr drücken müssen? Der Entwickler des Games hat es uns verraten.

  • Am Cybathlon treten 15 Teams gegeneinander an, um den Sieger zu ermitteln in einem gedankengesteuerten Computerspiel.
  • Die Cybathleten tragen Hauben, die mehrere Stunden lang auf die Hirnströme der Wettkämpfer abgestimmt werden müssen.
  • Die Gedankensteuerung erfolgt nicht unmittelbar, sie beinhaltet eine Verzögerung von zwei bis zehn Sekunden.

BCI statt Joystick

Rollstühle mit Touchpad-Steuerung, Hightech-Beinprothesen, ein Exoskelett – am Cybathlon der ETH Zürich sind viele zukunftsträchtige Geräte zu sehen. Doch das virtuelle Rennen mit Gedankensteuerung lässt dabei am meisten an Science-Fiction denken.

15 Teams aus der ganzen Welt treten gegeneinander an und spielen ein Computergame, dessen Spielfiguren nicht mit dem Joystick, sondern mit der blossen Kraft der Gedanken gesteuert werden. Dazu wird ein sogenanntes Brain-Computer-Interface verwendet, kurz BCI.

Der Game-Entwickler René Bauer mit seinem Notebook.
Legende: Neue Perspektive für einen Game-Entwickler: René Bauer mit seinem Arbeitsgerät. PD

René Bauer hat das Spiel mitentwickelt, das beim BCI-Rennen zum Einsatz kommt. «Die Veranstalter wollten erst ein Racing Game von uns», sagt der Dozent für Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste. «Aber nachdem wir erfahren haben, dass es bei der Gedankensteuerung eine Verzögerung von 2 bis 10 Sekunden geben kann, kam so etwas reaktionsschnelles wie ein Rennspiel natürlich nicht mehr in Frage.»

Ein kurzes und simples Game

Stattdessen wird nun «BrainRunners» gespielt. Bei dem Game laufen vier Roboter-Figuren nebeneinander über wechselnde Spielfelder. Jede wird von einem anderen Cybathleten gesteuert, der vom Hals abwärts gelähmt oder zumindest in seiner Bewegung sehr schwer eingeschränkt ist.

Thementag «SRF Menschmaschine»

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SRF sendet am Samstag, 8. Oktober 2016, live vom Wettkampf «Cybathlon». Unter srf.ch/menschmaschine gibt es täglich neue Inhalte zu Cyborgs, Prothesen, Robotik, Menschmaschinen und Maschinenmenschen.

Je nach Spielfeld müssen die Spielfiguren unterschiedliche Bewegungen ausführen: normal laufen, rotieren, springen oder rutschen. Stimmt die Bewegung nicht mit dem Terrain des jeweiligen Spielfelds überein, kommt die Figur nur langsam voran und die Gegner ziehen an ihr vorbei. Eine Runde dauert 1 bis 2 Minuten – und wer als Erster im Ziel ist, gewinnt.

Software macht aus Gedanken Befehle

Die Entwicklung von «BrainRunners», so erklärt Bauer, habe sich zunächst nicht grundsätzlich von der eines anderen Games unterschieden. «Wir mussten lediglich definieren, auf welche vier Signale das Spiel hören muss, um die Figuren zu steuern. Das ist dasselbe, wie wenn ein Game mit vier verschiedenen Knöpfen gesteuert wird.»

Die Aufgabe der 15 teilnehmenden Teams sei viel schwerer gewesen. Denn die mussten eine eigene Software schreiben, um die Gedanken des Spielers in Signale zu übersetzen, die das Game steuern.

Das Verfahren: Die Cybathleten tragen Hauben, die mit Dutzenden von Sensoren bestückt sind. Sie messen, welche Hirnregionen zu welcher Zeit aktiv sind. Um diese Ausrüstung auf den jeweiligen Träger abzustimmen, muss er sich einmal einer anstrengenden Prozedur unterziehen: Während 3 bis 4 Stunden konzentriert er sich auf die verschiedenen Befehle – «Springen» oder «Rotieren» zum Beispiel – bis ein festes Muster erkennbar ist, das dann einem Signal zugewiesen wird.

Zwei Männer stehen vor einem Computer auf dem Programmcode zu sehen ist und einem Bildschirm, der das Game «BrainRunners» zeigt.
Legende: Von Gedanken zu Befehlen: Um teilzunehmen zu können, musste jedes Team eine eigene Software schreiben. ETH Zürich/Alessandro Della Bella

Teams haben geschummelt

Weil die meisten Teams die Sensoren-Haube desselben Herstellers benutzen, können sie vor allem dann Vorsprung auf den Gegner gewinnen, wenn die Signale des Spielers gut abgestimmt sind und die eigene Software gut ist.

Dabei ging in der Vorbereitung auf den Cybathlon nicht immer alles mit rechten Dingen zu: «Nach einem ersten Test hatten wir das Gefühl, dass ein Teil der Teams geschummelt hat», sagt René Bauer.

Denn statt mit Gedanken lässt sich ein Signal auch mit einer Bewegung der Augen oder einem zuckenden Mundwinkel geben. Deshalb werden am Wettkampf nun alle Sensoren- und Softwaredaten aufgezeichnet und die Gesichter der Spieler gefilmt, so dass im Nachhinein zu sehen ist, ob jemand gezwinkert hat.

Im Hirn ist viel los

In einigen Punkten, so der Game-Designer, habe sich die Entwicklung von «BrainRunners» dann schon von der eines herkömmlichen Games unterschieden. Denn bei einem Game, das per Joystick oder Keyboard gespielt wird, ist jeder Tastendruck eine klare Willensbekundung: Der Spieler gibt zu verstehen, dass er genau diesen einen Befehl auslösen will.

Bei einem mit Gedanken gesteuerten Game ist Absicht nicht immer so klar – denn im Hirn ist zu jedem Zeitpunkt viel mehr los als nur ein einziger Gedanke.

Ein Screenshot des Games «Brainerunners», auf dem Figuren einen Wettlauf absolvieren.
Legende: Wer gewinnt? Screenshot des Games «BrainRunners» in Aktion. PD

Die oben erwähnten 2 bis 10 Sekunden Verzögerung seien beim Gamedesign dagegen – wider Erwarten – nicht ins Gewicht gefallen, sagt Bauer: «Auch bei einem Game wie ‹Super Mario Bros.› planen wir ja immer im Voraus, was wir als nächstes tun wollen. Und dasselbe macht auch der Spieler beim Cybathlon.»

Weil er das neue Spielfeld schon voraussehen kann, kann er auch den Befehl zum Rotieren, Springen oder Rutschen schon ein wenig im Voraus geben und damit die Verzögerung ausgleichen.

Dagegen mussten sich im Gegensatz zu einem normalen Computergame bei «BrainRunners» Hintergründe und Sound ausschalten lassen. Denn die Cybathleten könnten von solchen Ablenkungen in ihrer Konzentration gestört werden. Beim herkömmlichen Gamedesign kommen solche Elemente oft genau zum umgekehrten Zweck zum Einsatz: um das Spielerlebnis intensiver zu machen und den Spieler tiefer ins Geschehen eintauchen zu lassen.

In Realität schwieriger als in der Vorstellung

Aber «BrainRunners» soll eben nicht nur als Spiel funktionieren, erklärt René Bauer. Es gehe auch darum zu sehen, ob mit einer solchen Steuerung in Zukunft zum Beispiel ein Rollstuhl gelenkt werden könnte. Doch dass Brain-Computer-Interfaces bald unsere gewohnten Steuerungsmechanismen ganz ablösen – das bezweifelt der Dozent für Game Design.

Einfach auf einen Knopf zu drücken und damit einen klaren Befehl zu geben, sei der BCI-Steuerung heute jedenfalls noch weit überlegen. Und vielleicht sei es mit Brain-Computer-Interfaces ja ein wenig wie mit der Sprachsteuerung auf dem Smartphone, meint er zum Schluss. Was in der Vorstellung verlockend klinge, könne sich in Realität dann als weitaus umständlicher herausstellen.

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