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Technik Endlich mit dem Auto zur Arbeit fliegen

Werden wir bald mit dem Flug-Auto zur Arbeit fliegen? Diese Vision schwebt Wissenschaftlern aus Deutschland, England und der Schweiz vor. Im EU-Projekt «myCopter» prüfen sie, unter welchen Bedingungen diese Vision Realität werden könnte. Wir fliegen mit.

Es ist 7 Uhr 30 und Jana ist viel zu spät dran. Schnell öffnet sie auf dem Tablet die App für Personal Air Vehicles, kurz PAV: «Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?» – «Ich muss so schnell wie möglich in den Verlag», flucht Jana. «Der nächste Copter wird in fünf Minuten bei Ihnen sein» tönt es freundlich zurück. Gut – Zeit genug für einen weiteren Kaffee, dann flitzt Jana los. Der Copter steht schon startklar und begrüsst sie: «Flight Control. Ihr Ziel erreichen Sie um 8 Uhr – möchten Sie unterwegs die NZZ auf den Bildschirm projiziert haben?» Der Copter startet senkrecht in die Luft, beschleunigt und reiht sich auf der Luft-Autobahn in einen Strom aus weiteren Flug-Autos ein.

So könnte unsere Zukunft aussehen. Irgendwann. Heute verbringen wir durchschnittlich etwa 40 Stunden pro Jahr im Stau. Etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen dabei verloren, unzählige Liter Benzin verbrennen sinnlos. Züge, Busse, Trams sind überfüllt, und die Städte wachsen noch. Da scheint die Idee, einen Teil des Pendler-Verkehrs einfach in die Luft gehen zu lassen, geradezu genial. Doch es sind noch viele Hürden zu nehmen.

Computersimulation eines Cockpits.
Legende: Das Cockpit von morgen: In die Windschutzscheibe werden uns alle nötigen Daten eingeblendet, um sicher auf den Highways der Lüfte zu fliegen. Gareth Padfield, Flight Stability and Control

Ist Flugzeug-Sharing die Zukunft?

Was es braucht, damit aus der Vision einst Realität werden könnte, erforschen Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen in einem EU-Forschungsprojekt. Eine Knacknuss: Wird in Zukunft jeder in seinem eigenen Flug-Auto zur Arbeit fahren oder wird es eine Art öffentliches Car Sharing geben?

In Zürich und Tübingen wurden bereits kleine Gruppen von Bürgern befragt. Noch seien die Reaktionen verhalten, sagt Michael Decker, Professor am Karlsruher Institute for Technology: «In Zürich fänden die meisten ein System zur Entlastung des Pendler-Verkehrs zu Stosszeiten super – dass jeder sein eigenes, privates Flug-Autos fliegt, das kam jedoch nicht so gut an. Am Wochenende wollte man lieber einen ungetrübten Blick auf den See und die Alpen haben, als lauter fliegende Autos am Himmel zu sehen».

«Geht es nicht ein wenig schneller?» fragt Jana nach einem Blick auf die Uhr. «Wir fliegen mit vorgegebenen Geschwindigkeit von 150 km/h. Bei Tempo-Änderung besteht Kollisions-Gefahr und der Lande-Slot um 8 Uhr ist bereits bestätigt», tönt es zurück. Nichts zu machen …

Für das Sharing-System spricht laut Decker vor allem eins: Es braucht weniger Copter – und weniger Parkplätze. Selbst wenn wir auf einem Hochhaus landen können, bleibt immer noch die Frage: Wo parken? Gibt es Menschen, die die Fluggeräte irgendwo abstellen oder fliegen die PAVs automatisch in eine Parkstation? «Eine andere Möglichkeit wäre, dass sie ständig in der Luft sind und nur zum Aufladen der Batterie an eine Station müssen – da wären wir dann bei einem System ähnlich dem Car Sharing», sagt Decker.

Das Flugmobil der Zukunft

Box aufklappen Box zuklappen

Laut myCopter wird es die Grösse eines Kleinwagens haben, etwa so teuer und auch so schnell sein (200 km/h max.). Es muss senkrecht starten und landen können, um auch in dicht besiedelten Gebieten manövrierfähig zu sein. Als Pendlerfahrzeug hat es ein bis zwei Sitze und 100 Kilometer Reichweite – zur Arbeit und zurück. Antrieb per Elektromotor.

Vor allem für den Einstieg kann sich Heinrich Bülthoff, der Initiator des myCopter-Projekts, ein Konzept ähnlich dem des «Park & Ride»-Modells vorstellen, mit am Stadtrand gelegenen Start- und Landepunkten. «Damit das PAV-System jedoch auch wirklich angenommen wird, muss es langfristig genauso in die Stadtplanung eingebettet werden, wie Autos jetzt schon», ergänzt der Professor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik.

Auf der Himmels-Autobahn

Jana schaut aus dem Fenster: Ihr Flugkorridor verläuft über der A3, auf der sie früher jeden Morgen mit ihrem Golf im Stau stand. Auch jetzt rollt dort eine Blechlawine im Schritttempo entlang. Wenige Minuten später schert ihr Copter aus der Himmels-Autobahn wieder aus und landet auf dem Dach vom Verlag. Jana ist erleichtert – sie wird es gerade noch rechtzeitig zur Sitzung schaffen. Während sie in den Aufzug steigt, verschwindet der Copter leise …

«Per Luftlinie zur Arbeit» klingt zwar verlockend – doch wenn das in einer Stadt wie Zürich jeden Morgen zwischen 6.30 und 9 Uhr 100‘000 Menschen tun, ist das Chaos vorprogrammiert. Also dürfte es Flugkorridore geben, etwa 500 Meter über dem Boden. In dieser Höhe wird der existierende Flugverkehr mit seinen Kontrollsystemen nicht gestört. Stattdessen erfolgt die Kontrolle in jedem Flug-Auto über eine computergestützte Steuerung. Ein System aus Kameras, Sensoren, Radar und der Kommunikation zwischen den Fahrzeugen sorgt dafür, dass es keine Kollisionen gibt.

Jeder soll fliegen können

«Fliegen muss so leicht sein wie Autofahren – und trotzdem sicher», erklärt Michael Decker. Einfach mal rechts ranfahren geht nicht, wenn es brenzlig wird, und nicht jeder kann eine Pilotenausbildung machen. Ausserdem muss ein Flug-Auto zu mindestens 90 Prozent des Jahres zur Verfügung stehen, wenn es für Pendler wirklich interessant sein soll – egal zu welcher Tageszeit, egal bei welchem Wetter. Es muss im Dunkeln navigieren können, bei Schnee, Regen oder Sturm, wenn selbst ein Rettungspilot nur noch widerwillig starten würde.

Video
So könnte das Auto der Zukunft aussehen (Werbevideo Terrafugia)
Aus Einstein vom 05.12.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 2 Sekunden.

«Als wir das Projekt begannen, haben wir eigentlich eher an ein halbautonomes Prinzip gedacht», so Decker, «mittlerweile ist klar, dass es in Richtung Vollautonomie geht. Dass das unsere Forschung so eindeutig zeigen würde, war eine grosse Überraschung.»

Mittags leiht sich Jana den PAV eines Kollegen – sie muss in die Innenstadt, wo sie ihre Freundin Amanda zum Essen trifft. Sie hebt ab. Mit Ausnahme vom Joystick für die Höhenkontrolle fühlt es sich wirklich an wie ihr alter Golf. Mit den Gedanken ist sie noch ganz bei der Sitzung. Sie hätte nicht so harsch sein sollen… «Bitte machen Sie eine Pause», ermahnt sie der Aufmerksamkeitsassistent. Jana schüttelt sich und drückt den «Ok»-Knopf. Sie möchte nicht schon wieder eine Strafe zahlen, weil sie die Aufforderung des Assistenten ignoriert hat.

Wer im vollautomatisierten Gefährt fliegt, will dabei auch gemütlich die Zeitung lesen oder einen Film schauen. «Wir haben uns auch gefragt, ob es die Möglichkeit geben muss, die Scheiben abzudunkeln; zum Beispiel für Menschen mit Höhenangst», erzählt Heinrich Bülthoff. Den Verkehr kann man dann nicht mehr beobachten. Und da kommt die Gesetzgebung ins Spiel: In den meisten Ländern braucht es laut Verkehrsordnung einen Fahrer. Er muss eingreifen können und trägt die Verantwortung. Wer jedoch beim automatisierten Fliegen die Verantwortung trägt, ist ungeklärt. «Da hoffen wir ein bisschen auf die Auto-Industrie – dass eine Gesetzesänderung durch ist, bis wir soweit sind», sagt Bülthoff.

Bild des ultraleichten Hubschraubers von PAL-V.
Legende: Gibt's bereits zu kaufen: Das Flug-Auto der dänischen Firma PAL-V ist für 295'000 Dollar zu haben; den Preis eines Kleinwagens hat es noch nicht. pal-v.com

Und wann kommt’s?

Wie wahrscheinlich ist es nun wirklich, dass wir bald zur Arbeit fliegen? Bülthoff ist überzeugt: «Wir haben die Technologie, die Elektro-Energie und die Automatisierung – das wird in zehn Jahren fertig sein. Wenn nicht in Europa, dann vielleicht in Korea, wo es auch schon Gespräche in diese Richtung mit der Autoindustrie gibt.» Wahrscheinlich werden sich für die Flug-Autos anfangs eher die sogenannten Early Adopters interessieren, Technikfans also, die es sich leisten können. «Wenn wir nur fünf Prozent der Autos in der Luft haben, ist das ein Erfolg». Die Umsetzung eines vollfunktionsfähigen Verkehrs-Systems für die Masse werde länger brauchen.

Michael Decker ist sich bei der zeitlichen Einschätzung nicht so sicher, doch auch er glaubt: «Wenn die Menschen solch ein System wollen und der Gesetzgeber die Weichen stellt, dann könnte es was werden».

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