Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Technik Reaktoren in Rente: Frankreichs Atommüllproblem

Kein anderes Land in Europa hat so viele Kernkraftwerke wie Frankreich. Von den über 60 Reaktoren sind 10 bereits stillgelegt. Komplett abgebaut ist bisher kein einziger. Das Problem: Der Rückbau wurde bei der Konzeption nicht mitgedacht. Die Frage nach der Entsorgung ist deshalb bis heute ungelöst.

58 aktive Kernreaktoren an 19 Standorten – in Sachen Atomenergie ist Frankreich Nummer eins in Europa. Und Atomkraft ist im zentralistischen Frankreich Staatssache: Der einzige Betreiber von Kernkraftwerken dort heisst «Electricité de France» (EDF) und ist zu 84,5 Prozent in Staatsbesitz.

Zehn Atomreaktoren sind bereits stillgelegt und der Stromkonzern hat sich für den direkten Rückbau entschieden. Dabei wird das Atomkraftwerk nach Ende des Regelbetriebs so schnell wie möglich auseinandergebaut – die verstrahlten Bauteile müssen vor Ort zerlegt werden. «Wir wollen verhindern, dass spätere Generationen die Last des Rückbaus tragen müssen», sagt EDF-Manager Gilles Giron. Der Ingenieur gehört zur Führungsriege einer Abteilung, die EDF eigens für den Abbau von Kernanlagen geschaffen hat. Der Konzern will sein Können in Sachen Rückbau beweisen – doch dabei harzt es.

Vorzeigemodell für den Rückbau

Die Kernkraftwerke der ersten Generation sind nur für den Betrieb konzipiert worden. Stets hat man nur an die Ausbeutung gedacht, nicht aber an den Rückbau. Kein Wunder also, dass unzählige Komplikationen auftauchen und bis heute noch kein einziger der zehn Reaktoren komplett zurückgebaut wurde.

Um das zu ändern, konzentriert sich EDF nun vor allem auf das KKW Chooz. Es liegt am Ufer der Maas, direkt an der belgischen Grenze. Das Kraftwerk besteht aus drei Reaktoren, zwei produzieren noch Strom, aber einer, Chooz A, ist seit 1991 abgeschaltet.

Der reibungslose Rückbau in Chooz ist für EDF besonders wichtig. Denn im Gegensatz zu den anderen stillgelegten Reaktoren handelt es sich hier um einen Druckwasserreaktor – also um den gleichen Reaktortyp wie in den 58 Reaktoren, die in Frankreich noch in Betrieb sind. «Der Rückbau von Chooz A geht gut voran», beteuert Giron. «Wir wollen bald mit dem Reaktordruckbehälter beginnen.»

Kritik von Atomkraftgegnern

Weil Frankreich keine Lösung für die mittel- und hochradioaktiven Abfälle hat, baut EDF derzeit ein Zwischenlager, in dem die Abfälle aus allen stillgelegten Reaktoren erst einmal gesammelt werden sollen. Es entsteht auf dem Reaktorgelände von Bugey, im Rhonetal zwischen Lyon und Genf. Doch der Ort sei völlig ungeeignet, kritisiert Roland Desbordes. Der Physiker ist Vorsitzender des CRIIRAD, eines Zentrums für unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität.

Rolande Desbordes, ein Mann mit weissem Vollbart und weissem T-Shirt, lehnt an einem Schrank.
Legende: Für Roland Desbordes vom Strahlenforschungsinstitut CRIIRAD harzt es beim AKW-Rückbau gewaltig. CRIIRAD

«Die Gegend ist erdbeben- und überschwemmungsgefährdet», betont Desbordes. Am Fluss Ain gebe es ein Stauwehr, das bei Dammbruch eine neun Meter hohe Flutwelle auslösen könnte. EDF hat bisher nur die Baugenehmigung erhalten. Die Atomkraftgegner wollen verhindern, dass die Behörde für Nukleare Sicherheit auch die Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager erteilt.

Das Problem des Endlagers

EDF gibt sich jedoch zuversichtlich. «Wir werden in Kürze die Betriebsgenehmigung beantragen und rechnen damit, dass sie in ein bis zwei Jahren erteilt wird», prognostiziert Giron. «Das Zwischenlager wird seinen Dienst aufnehmen, sobald die ersten Abfälle vom Rückbau des Reaktors in Chooz A anfallen werden.»

Damit EDF sein Können wirklich beweisen kann, muss aber erst eine dauerhafte Lösung für den Atommüll gefunden werden: Was soll nach dem Zwischenlager mit den Abfällen geschehen? Derzeit werden die bereits angefallenen, hoch gefährlichen Abfälle überirdisch in der Wiederaufbereitungsanlage La Hague am Ärmelkanal und im südfranzösischen Marcoule gelagert.

Wer ist verantwortlich?

Laut Gesetz seien aber die Energieproduzenten und nicht der Staat oder die staatliche Atommüllbehörde für die Abfälle verantwortlich, sagt Roland Desbordes. EDF stecke in einer Sackgasse, weil es keine Lösung für die gefährlichen Abfälle gebe.

Gilles Giron, ein Mann im Anzug.
Legende: EDF-Manager Gilles Giron ist überzeugt, dass sein Konzern hervorragend aufgestellt sei, um den Rückbau zu meistern. Gilles Giron, EDF

Gilles Giron sieht das anders: «EDF hat die Aufgabe, seine Kraftwerke zurückzubauen und dafür zu sorgen, dass es für die Abfälle eine Lagerstätte gibt. Aber nicht EDF, sondern die staatliche Atommüllbehörde ANDRA muss ein Endlager für radioaktive Abfälle zur Verfügung stellen.» Er gehe davon aus, dass solch ein Endlager Ende 2025 in Betrieb genommen wird.

Wie alle Länder mit Atomkraft hat sich auch Frankreich dazu entschlossen, die hochradioaktiven Abfälle unterirdisch einzulagern. Dazu wurde der Ort Bure auserkoren, ein Dorf im dünn besiedelten Nordosten Frankreichs. Dort hat die Atommüllbehörde ein Forschungslabor in 500 Metern Tiefe eingerichtet. Wissenschaftler und Techniker testen seit Jahren, ob sich die 130 Meter dicke Tonschicht für die Endlagerung von Atommüll eignet. Alternativen sind nicht im Gespräch.

Es herrscht ein enormer Druck

«Alle reden so, als ob das schon ausgemachte Sache sei. Ist es aber nicht!», warnt Kritiker Desbordes. «Die Entscheidung zur Endlagerung ist noch nicht gefallen. Unter dem Druck der Betreiber versuchen unsere Parlamentsabgeordneten, die Endlagerung durchzuboxen.»

Das Wirtschaftsministerium hat angekündigt, dass es Anfang 2016 einen Gesetzesentwurf vorlegen werde, um die Endlagerung in Bure zu genehmigen. EDF hofft, dass das Gesetz auch tatsächlich erlassen wird. Denn erst wenn das Problem mit den hoch strahlenden Abfällen gelöst ist, kann sich der Konzern tatsächlich in Sachen Rückbau profilieren. Sollte die Endlagerung in Bure aber verweigert werden, dann befände sich die französische Atomwirtschaft in einer argen Klemme.

Meistgelesene Artikel