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Tim Robbins über «45 Seconds of Laughter»
Aus Kultur Webvideos vom 05.09.2019.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 29 Sekunden.
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76. Filmfestival Venedig «Wir fragten nach den richtig bösen Jungs»

In seinem Dokumentarfilm lässt Tim Robbins verfeindete Gefängnisinsassen zusammen Theater spielen. Ein Herzensprojekt, sagt er.

Der Knast lässt Tim Robbins nicht los. Die Filme des Oscarpreisträgers spielen auffallend oft in Gefängnissen. Unvergessen: seine Performance als unschuldig Verurteilter in «The Shawshank Redemption». Als Regisseur von «Dead Man Walking» zeigte Robbins, dass Amerika seinen Häftlingen meist keine Chance zur Rehabilitation bietet.

Mit der Dokumentation «45 Seconds of Laughter» beweist der Kalifornier nun in Venedig, dass es auch ganz anders ginge. Tim Robbins lässt verfeindete Insassen miteinander Theater spielen und verändert diese damit für immer. Im Interview über sein Herzensprojekt war der sozial engagierte Kalifornier darum kaum zu bremsen.

Tim Robbins

Tim Robbins

Schauspieler und Regisseur

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Der US-Amerikaner Tim Robbins arbeitet als Schauspieler, Regisseur, und Drehbuchautor. Er ist bekannt aus Filmen wie «The Shawshank Redemption» oder «Mystic River», für den er mit dem Oscar als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde.

SRF: Wie haben die Insassen reagiert, als sie von Ihrem Projekt hörten?

Tim Robbins: Meist schüttelten sie verwundert den Kopf und fragten: «Ihr wollt uns schminken und Theater spielen?» Mit dieser Form von Ablehnung hatten wir gerechnet. Und uns einen Plan zurechtgelegt, um diesen Schutzwall der Sträflinge zu durchbrechen. Wir versuchten, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, das jeden Einzelnen miteinschliesst.

Wir wussten nicht, was ihre Straftaten waren und wollten es auch gar nicht wissen

Nach welchen Regeln wurden die Teilnehmer ausgewählt?

Wir wussten nicht, was ihre Straftaten waren und wollten es auch gar nicht wissen. Wir baten das Gefängnis bloss darum, uns Insassen rivalisierender Banden vorzuschlagen. Leute unterschiedlicher Herkunft. Bloss keine braven Vorzeigehäftlinge. Wir fragten nach den richtig bösen Jungs, die Reibungsfläche boten.

Gemäss unserer Studie geht die Gewalt unter den Häftlingen durchs Theater spielen um 98 Prozent zurück

Was hat die Gefangenen dazu gebracht, mitzumachen?

Die meisten begriffen rasch: Das ist mal was ganz Anderes. Etwas, das Spass machen könnte. Im Gefängnis gibt es wenig solche Möglichkeiten, loszulassen und sich zu amüsieren.

Ein Man mit grauen Haaren und grauem Bart lächelt dem Publikum zu.
Legende: Auch Tim Robbins selbst zeigte sich in Venedig gut gelaunt. Keystone

Was macht das Theaterspiel mit den Häftlingen?

Gemäss unserer Studie geht die Gewalt unter den Häftlingen durchs Theater spielen um 98 Prozent zurück. Der Effekt ist glasklar. Weil viele Gefängnisse das anerkannt haben, ist es für uns leichter geworden, zu expandieren. Immer mehr Menschen profitieren inzwischen davon.

«45 Seconds of Laughter»

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Calipatria State Prison: In dieser Strafanstalt sitzen Kaliforniens Schwerverbrecher. Doch statt der erwarteten bösen Blicke sehen wir lachende Insassen. Die gute Laune hat einen guten Grund. Tim Robbins stellt in der unkommentierten Doku die Arbeit seines Theaterprojekts «The Actor’s Gang» vor. Das ist Teil eines staatlich anerkannten Rehabilitationsprogramms, an dem 13 kalifornische Staatsgefängnisse und zwei Einrichtungen für jugendliche Straftäter teilnehmen.

Der Film zeigt, wie sich das Klima unter den Häftlingen durchs gemeinsame Einstudieren verbessert. Hautfarbe und Bandenzugehörigkeit scheinen plötzlich keine Rolle mehr zu spielen. Als Zuschauer wird man Zeuge einer erstaunlichen Wandlung, die viel Optimismus verbreitet.

Wer dafür empfänglich ist, geniesst den hohen Wohlfühlfaktor. Genau dieser kann einen aber auch stutzig machen. So bleibt der Verdacht, dass Misstöne zur Wahrung der dramaturgischen Schlüssigkeit ausgeblendet wurden.

Welche Erkenntnis nehmen die schweren Jungs aus dem Kurs mit?

Vielen Teilnehmern ging beim Schminken ein Licht auf. Sie merkten, dass sie ihr halbes Leben lang eine Maske getragen hatten. Eine Maske, die es ihnen ermöglichte, den Gefängnisalltag zu überleben. Eine Maske aber, die ihre wahre Identität verdeckte. Vielen wurde klar: «Ich bin mehr als bloss ein wütender Typ.»

Das Gespräch führte Selim Petersen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 5.9.2019, 08:20 Uhr.

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