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Neu im Kino Der Provokateur Lars von Trier geht aufs Ganze

Mit «The House that Jack Built» inszeniert der dänische Regisseur seinen eigenen Höllensturz und die Motivation dazu – wie gewohnt als Provokation in alle Richtungen.

Sieben Jahre wurde er vom Filmfestival in Cannes verbannt. Dieses Jahr kehrte Lars von Trier wieder zurück – mit dem Thriller «The House that Jack Built». Nun kann in Schweizer Kinos geschaut werden, was Cannes im Mai schockierte.

Matt Dillon spielt den Serienkiller, der seine «Arbeit» als Kunstwerk begriffen haben will. In der Dunkelheit, in der der Film beginnt, setzt sein Erklärungsstrom ein. Die Fragen stellt Bruno Ganz als «Verge». Von ihm nehmen wir schon bald an, dass es sich um Gott handeln dürfte, oder dann wenigstens den Fährmann auf dem Weg ins Jenseits.

Nicht auf der Kippe, sondern auf dem Weg in die Hölle

Allerdings wird irgendwann klar, das «Verge» nicht für «on the verge» steht, für «auf der Kippe», sondern schlicht und einfach für Vergil. Der Dichter Vergil ist Dantes Führer auf dem Weg ins Inferno in der «Göttlichen Komödie».

Dieser Verge, mit Bruno Ganz' kurligem, deutsch gefärbten Englisch, ist ein müder Skeptiker, der schon alles gehört hat. Ein Serienkiller mehr, der seine Taten für motiviert oder gar Kunst hält – das macht ihn bloss noch müder.

Zwei Männer in Anzügen.
Legende: Die «Persona non grata» ist zurück: Lars von Trier (rechts) mit Bruno Ganz in Cannes. Getty Images

Aber Jack lässt nicht locker. Er erzählt anhand von «Ereignissen» («Incidents») von seinen ersten Morden und seiner eigenen Biografie als Ingenieur, der eigentlich lieber Architekt wäre und seit Jahren versucht, sein eigenes Haus zu bauen.

Jack und der Wagenheber

Der erste «Incident» involviert Uma Thurman. Sie spielt eine nervige blonde Frau, die mitten im Wald mit einem platten Reifen liegengeblieben ist.

Ihr «Jack», wie der Wagenheber auf Englisch heisst, ist kaputt und so drängt sie den in seinem feuerroten Kleinbus vorbeifahrenden Jack, sie mitzunehmen zu jemandem, der diesen Wagenheber reparieren kann.

Eine Frau und ein Mann nebeneinander in einem Auto.
Legende: Der erste Vorfall: Jack nimmt im Auto eine äusserst nervige Frau mit, gespielt von Uma Thurman. Cannes Filmfestival

Was kommen muss

Die Sequenz ist so angelegt, dass wir wissen, was kommen muss, lange bevor Jack es realisiert. Die Frau hört nicht auf zu reden, provoziert ihn mehrfach – bis er, als man als Zuschauer sich schon fast auf eine falsche Fährte gelockt fühlt – mit dem Wagenheber zuschlägt.

Die Einstellung wird noch etliche Male zu sehen sein: Uma Thurman auf dem Beifahrersitz, mit einem tiefen, blutigen Loch in der Stirn.

Jacks Wort, von Lars geschrieben

Ihre Provokation («Sie sind wohl doch kein Serienkiller, Sie sind viel zu nachgiebig dafür»), das muss man sich als Zuschauer erst bewusstmachen, erleben wir in der Erzählung von Jack. Und geschrieben hat das Lars.

Lars hat auch Verge die Worte in den Mund gelegt, die Bruno Ganz als weitere Provokation dann immer wieder einwirft: Jack solle seine Psychose nicht als Kunst verherrlichen, er sei auch nicht anders als andere.

Das pariert Jack dann allerdings aufs heftigste. Einerseits mit Schrifttafeln wie Bob Dylan seinem berühmten Musikvideo. Mit denen macht er sich etwa über seinen eigenen Putzfimmel lustig, der ihn sechsmal das Haus wieder betreten lässt, in dem er einen anderen Mord begangen hat. Denn er fürchtet stets, irgendwo noch etwas Blut übersehen zu haben.

Ein Mannund eine Frau in einem dunklen Raum.
Legende: Matt Dillon durchlebt als Jack einen Sturz in die Hölle. Cannes Filmfestival

Andererseits widerspricht Jack, indem immer provokativere Morde schildert. Und da provoziert nicht nur Jack den Verge, sondern vor allem Lars von Trier sein Publikum. Gezielt geht er auf all jene los, die sich provozieren lassen.

Der junge Jack verstümmelt eine junge Ente, der erwachsene Jack erschiesst Kinder und ihre Mutter, er schneidet einer blonden Frau die Brüste ab, nachdem er sie lange als dumm und ungebildet verhöhnt hat.

Ein Film wie ein Abschiedsbrief

Manchmal bekommt man das Gefühl, Lars von Trier lege es mit diesem Film darauf an, möglichst viel Hass von möglichst vielen Seiten auf sich zu ziehen. Ein britischer Kollege hat in Cannes erklärt, ihm komme der Film vor wie ein Abschiedsbrief, eine «suicide note».

Ein mann zerrt eine blutige Leiche dem Boden entlang.
Legende: Serienkiller Jack will seine brutalen Morde als Kunst verstanden wissen. Cannes Filmfestival

Das ist nicht von der Hand zu weisen, denn all die wilden Theorien von der Freiheit der Kunst und ihrem Zwang, zu zerstören, passen zu den manischen wie den depressiven Phasen des Filmemachers Lars von Trier.

Er analysiert und provoziert, er baut Filme als Versuchsanordnungen – wie Jack, der seine Morde zunehmend inszeniert und als Experimente durchführt.

Provokativ und gewagt – wie immer

Mit zwei Stunden und fünfunddreissig Minuten ist dieser Film ein Brocken, mit seinen gezielten Provokationen ein wie immer gewagtes Spiel. Allerdings hat man tatsächlich das Gefühl, Lars von Trier wolle gar nicht mehr spielen.

Hier geht es existentiell ums Ganze, um sein Selbstverständnis, um das er möglicherweise viel mehr ringt, als all seine Kritiker. Denen macht er es ein ums andere Mal noch etwas leichter.

Ein Abschied voller Grausamkeit

«The House that Jack Built» ist weder «Melancholia» noch «Breaking the Waves». Der Film ist ein Abschied, ein Abschied voller Grausamkeit, Groteske, Intelligenz und Verzweiflung. Das muss sich niemand antun.

Aber wer dranbleibt, holt hier mehr heraus, als aus Lars von Triers ganzer «Nymphomaniac»-Übung. Der Däne spielt zwar wieder mit seiner eigenen Verzweiflung. Aber ob er abstürzt oder nicht, das interessiert seinen Vergil genau so wenig, wie es Verge im Film kümmert, ob Jack in die Hölle stürzt oder nicht.

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