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Der Archivar Andy Warhol: Ich bin im Fernsehen – also bin ich

Warhol wurde am 6. August 1928 geboren. Wie ratlos die Medien anfangs mit dem Übervater der Pop Art waren, zeigt ein einzigartiges Dokument: Warhol fotografiert in Basel-Mulhouse, begleitet von einer Journalistin, die ihm hilflose Fragen stellt. Das Resultat: eines der ersten Musikvideos.

Andy Warhol ist nicht nur der Künstler. Er ist auch seine Rezeption: Welche Kunstbegriffe und Künstlerbilder da aufeinanderprallen, das ist eine Geschichte für sich. Als Warhol 1980 in Basel knipst, erscheint das als Musik-Clip im Schweizer Fernsehen, geschnitten auf einen Song von David Bowie. Kommentarlos. Begegnen die Fernsehmacher der Pop Art mit Glamrock – oder was ist das?

Was soll an dem so toll sein?

Zur Person

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Andy Warhol wurde am 6. August 1928 in Pittsburgh in ärmlichen Verhältnissen geboren. Seine Familie war aus den Karpaten eingewandert. Warhol begründete die Pop Art, war Grafiker, Filmemacher, Fotograf, Verleger, Unternehmer, Maler und veranstaltete Multimedia-Happenings. Er starb am 22. Februar 1987 in New York.

Warhol galt damals als Fotograf der Schönen und Reichen, von Mick Jagger bis Jacky Kennedy. Der Hype um ihn, sowohl in Kunstkreisen wie im Fernsehen, ist gewaltig. Die breite Masse hingegen versteht nicht, was an dem Amerikaner so umwerfend sein soll: Der macht Bilder mit Konservendosen oder filmt stundenlang einen Mann, der schläft («Sleep»). Manch eine oder einer denkt sich: «Da muss ich nachts nur neben mich schauen.»

Schöne, Berühmte, Reiche

Wie wenig man mit Warhol anfangen kann, zeigen die Fragen der Journalistin auf dem Rollfeld. Er mache Fotos von «schönen, berühmten, reichen Menschen», sagt sie, was das denn bedeute? Warhol antwortet: «Nun das bedeutet ‹schöne, berühmte, reiche Menschen›». Und holt weiter aus: Eigentlich fotografiere er ja alles, auch den Jet Set. Sagt's und hält dabei einen BMW-Katalog in der Hand. Aber das seien ja fleissige Menschen, «busy people», die hart arbeiten, wörtlich: «24 Stunden am Tag» – wie bitte?

Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Die, die Warhol porträtiert, arbeiten 24 Stunden am Tag? Die Jaggers? Mick und damals noch Bianca? Frau Kennedy, später Onassis? Truman Capote? Dalí? – Die Schönen und Reichen als Helden der Arbeiterklasse? Das bleibt unhinterfragt stehen.

Klischees prallen frontal aufeinander

Interessant daran ist, wie zielgenau Warhol auf das losgeht, was er der Reporterin an ungesagten Implikationen unterstellt. Die Implikationen sind Künstler-Klischees: Künstler sind einsam, arm, schneiden sich Ohren ab und halten der Gesellschaft den Spiegel vor, besonders den Schönen und Reichen. Künstler sind Anti-Establishment. Warhol dreht das Klischee um, indem er aus dem Jet Set Working-Class-Heroes macht.

Ich verkaufe – also bin ich

Wie erklärungsbedürftig Warhols Kunst war, zeigt auch ein Video aus dem Jahr 1978, in dem der damalige Leiter der Kunsthalle Basel, Robert Stoll, erklärt, wie Warhols Welt funktioniert – für alle, die nicht in einer Galerie geboren und gestillt wurden. «Warhol ist kein Künstler wie Rembrandt. Er ist ein Macher.» Stoll müht sich ab, den neuen Künstlerbegriff zu erklären. Warhol gehe es um die Verpackung. In all der didaktischen Einfachheit taucht dann etwas Universitär-Feuilletonistisches auf: Es gehe um die «Fetische der Konsumgesellschaft». Oha!

Robert Stoll erklärt weiter: Warhols Kunst stelle alles an vorangegangenem Kunstbegriff in Frage. So sei Warhol eben nicht mehr der geniale Einzelkünstler, der göttlich aus sich schöpft. Nein. Warhol beschäftige ein «Team» in einer «factory». Robert Stoll spricht mit sehr, sehr vielen Anführungszeichen.

Heute wissen wir: In der «factory» wurde produziert, verkauft und Geld gemacht. Viel Geld. Warhol entspricht nicht dem Bild der armen soziophoben Künstlermaus, er ist glamourös und macht Umsatz. Ganz nach der Devise: Ich verkaufe – also bin ich.

Der erste Multi-Media-Künstler

«Archivperlen»

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Das Archiv von SRF ist ein fulminanter Fundus, ein audio-visuelles Gedächtnis, in schwarz-weiss oder Farbe, analog oder digital. Wichtiges und Unwichtiges, Überholtes und allzeit Gültiges, Alltag und grosse Weltgeschichte.

Und Vergessenes: «Stimmt, das gab's auch mal».

Im Archiv sind eine Vielzahl von «Perlen», die Ihnen online zugänglich sind.

Heute wissen wir auch: Warhol unternimmt viel, um nicht klassifiziert zu werden. Auch das ist ein Verstoss gegen das alte Künstlerbild. Er passt in keine Schublade, höchstens in die, wo Multimedia draufsteht. Das Wort gab es aber noch nicht. Andy Warhol macht nicht nur Bilder, sondern auch Fotos, Filme, Performances und Happenings, gestaltet Fernsehmagazine und Plattencovers.

Manchmal arbeitet er mit verschiedenen Techniken am gleichen Gegenstand: Fotos als Gemälde, dann als Siebdrucke, in Serie. Er produziert limitierte Auflagen, manchmal sogar vorsätzlich Massenware. Das Original ist tot! Auch das eine Irritation. Warhol ist der kommerzielle und industrielle Urknall in der Kunst.

Und heute?

All das ist uns heute vertraut. Aber Warhol war der erste, der multi-medial arbeitet und Medien perfekt nutzt. Und er hat «Nachkommen»: Wenn Björk heute ihr Gesamtkunstwerk «Biophilia» als interaktives Album ins Netz stellt und dazu eine App lanciert, die im Museum of Modern Art landet, dann hat das bei Andy seinen Anfang und endet bei Björk – als digitaler Enkelin.

Warhol benutzte gezielt Öffentlichkeit: Er inszenierte seine Auftritte mit höfischem Gefolge, jettete herum, als Pop-Art-Papst. Wo er landete, wurde berichtet. Denn nur in seiner Nähe war Glanz. Eines war für Warhol immer klar: Keine Öffentlichkeit ist auch keine Lösung. Der Imperativ des Medienzeitalters: Ich bin im TV – also bin ich.

Grab von Warhol, davor Cola-Flaschen, Blumen, Campbells Tomatensuppe.
Legende: Vor Warhols Grab: Blumen, Campbells Tomatensuppe, Colaflaschen. Keystone

Warhol war sein eigenes Produkt, sein eigener Avatar. Er sagte über dieses Zeitalter, das er selbst einläutete: «In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.» Gemeint hat er damit, dass mehr Aufmerksamkeit in Zukunft nicht mehr da sein werde. Alle «Supertalente» und «Voices» verstehen, was er vor 35 Jahren damit meinte.

So ironisch und leicht er sein konnte, so gab es auch bei ihm Grenzen: David Bowie hat genau den Song über ihn gemacht, mit dem das Video von Basel-Mulhouse unterlegt ist. Bowie bewunderte Warhol. Irgendwann hat er Warhol getroffen und ihm den Song vorgespielt. Warhol dachte, Bowie mache sich lustig. Sie haben eine Stunde über Schuhe gesprochen. Und sich nicht wieder gesehen.

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