Der Designer Stefan Sagmeister sagt, die Schönheit sei in den Verruf geraten. Sie gelte als oberflächlich, kommerziell oder kitschig. Stattdessen diktiere der Funktionalismus die Form. In der Ausstellung «Beauty», die zurzeit in Frankfurt zu sehen ist, will Stefan Sagmeister die Schönheit rehabilitieren. Doch ist barocke Ornamentik wirklich schöner als modernistische Kargheit?
SRF: Man hat Ihren Schönheitsbegriff als rückwärtsgewandt bezeichnet. Fühlen Sie sich missverstanden?
Stefan Sagmeister: In diesem Fall schon, weil ich überhaupt kein Nostalgiker bin. Ich habe überhaupt kein Bedürfnis, ins 19. Jahrhundert zurückzugehen. Ich würde sogar umgekehrt sagen: Leute, die heute auf dem Begriff Modernismus beharren, sind sehr rückständig. Diese Ideen sind jetzt 100 Jahre alt und werden nicht hinterfragt.
Wenn ich einen Vortrag halte vor Architekten über 65, dann herrscht da eisige Kälte.
Gibt es einen Aufschrei bei Designern und Architekten, die mit Ihnen nicht einverstanden sind?
Es gibt einen Aufschrei unter den älteren Architekten. Wenn ich einen Vortrag halte vor Architekten über 65, dann herrscht da eisige Kälte. Aber wenn die Architekten 50 und drunter sind, gibt es Standing Ovations.
Ich würde auch sagen, und da polarisiere ich sicher: Die Architekten, die ich bewundere, und die gut sind, verstehen das Anliegen. Es ist das Mittelmass, das da nicht mitkommt.
Ein Beispiel aus der Schweiz: Als ich letztes Jahr im Museum für Gestaltung Zürich eine Ausstellung vorbereitete, habe ich tagelang im Toni-Areal gewohnt. Es ist schrecklich dort! Diese mittelmässige Schweizer Qualitäts-Quatsch-Architektur! Die hat so ein bisschen Qualität, die ist «corporate». Und die ist kalt.
Und das wichtigste: Die Architektur funktioniert nicht, und zwar nachweislich. Keiner der Balkone dort wird verwendet. Obwohl sie unter dem Deckmantel des Funktionalismus gebaut worden sind. Dieser Blödsinn muss aufhören.
Beschäftigen Sie sich schon lange mit dem Begriff Schönheit?
Vielleicht seit etwa 10 Jahren. Auch ich war viele Jahre ein Designer, dem die Form und damit die Schönheit egal war. Mir ging es als junger Designer immer um die Idee und das Konzept. Ich habe eine Form gesucht, die dieser Idee untergeordnet war, wichtig war sie nicht.
Schönheit hat nicht nur Einfluss auf unsere Gefühle, sondern auch auf unser Verhalten.
Erst durch die Erfahrung habe ich gelernt, dass das Resultat viel besser funktioniert, wenn wir die Form ernst nehmen, wirklich an ihr arbeiten. So bin ich zur Schönheit gekommen.
Was finden Sie schön in der Schweiz?
Eines der schönsten Interieurs, das ich kenne, ist die Therme in Vals von Peter Zumthor. Die hat eine Qualität, die nicht nur meine Mutter, die mit zeitgenössischer Architektur nichts am Hut hat, komplett überzeugt. Ich habe bemerkt, dass selbst 10-jährige Jungen aufhören zu schreien und zu spritzen.
Wirkliche Schönheit vermittelt uns ein Bauchgefühl, wie wir uns darin zu bewegen haben. Denn Schönheit hat nicht nur Einfluss auf unsere Gefühle, sondern auch auf unser Verhalten.
Das Gespräch führte Meili Dschen.