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Kunst Gute Schweizer gehen an die Urne

Können Künstler eine Volksbefragung machen, die ernst genommen wird? Ja, das funktioniert. Das Schweizer Künstlerduo Com&Com hat nach der helvetischen Befindlichkeit gefragt – und zwar auf der Basis der zensurierten Expo-Umfrage von 1964. Manche Antworten überraschen.

Lausanne, 1964: Besucher der Expo 64 geben mit einem Fragebogen Auskunft über ihre Befindlichkeit und den Zustand der Schweiz. Das Resultat zeigt eine moderne, liberale Schweiz. Zu modern, zu liberal, fand der Bundesrat das Resultat. Und liess die Daten vernichten.

Heute möchte das Künstlerduo Com&Com die Volksbefragung zu Ende führen. Mit dem Projekt «Point de Suisse», einer Online-Umfrage, die die helvetische Befindlichkeit im Jahr 2014 repräsentiert. Sie wurde von einem professionellen, unabhängigen Umfrageinstitut erstellt und durchgeführt.

Bis 9 Uhr morgens schlafen? Kein Problem

Das Künstlerduo Com&Com

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«Point de Suisse» wurde vom Schweizer Künstlerduo Com&Com initiiert. Es besteht aus Marcus Gossolt und Johannes M. Hedinger. Der Fragebogen für die Umfrage «Point de Suisse» entstand zusammen mit dem Autor und Regisseur Milo Rau und seinem Mitarbeiter Rolf Bossart.

Die Resultate bringen einige neue Erkenntnisse zutage. Zum Beispiel, dass Pfarrer der unbeliebteste Beruf bei den Schweizerinnen und Schweizern ist. Könnten Herr und Frau Schweizer ein Ereignis aus der Schweizer Geschichte entfernen, wäre es das Swissair-Grounding. Vorbildfunktion für andere Nationen hat die Schweiz in Demokratie, Neutralität und Vielsprachigkeit. Der «gute Schweizer» kann getrost bis 9 Uhr morgens schlafen. An Abstimmungen und Wahlen sollte er jedoch teilnehmen.

«Wir haben eine gewisse Narrenfreiheit und können anders fragen als der Bundesrat», sagt Johannes M. Hedinger. Zusammen mit Marcus Gossolt steht er für das Künstlerduos Com&Com. Auch wenn der Begriff «künstlerische Volksbefragung» einen ironischen Unterton hat, ist die Absicht eine ernsthafte.

Wie wäre es mit einem obligatorischen Auslandjahr?

«Wir wollten wissen, was die Schweizerinnen und Schweizer wirklich denken», erklärt Johannes M. Hedinger, und es knistert in der Leitung. Hedinger ist oft auf Reisen, derzeit in den USA.

«Point de Suisse»

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Die Resultate von «Point de Suisse» wurden von Wissenschaftlern der Soziologie, Geschichte, Politologie, Philosophie und Kulturwissenschaft analysiert und interpretiert. Jetzt liegt dazu eine Publikation vor. Am 14. Oktober 2014 findet in der Gessnerallee Zürich eine öffentliche Präsentation der Umfrage statt.

Auch Max Frischs berühmte Fragebögen sind teilweise während US-Aufenthalten entstanden. Dass Reisen den Blick auf die eigene Herkunft verschärft, ist eine alte Erkenntnis. Johannes M. Hedinger geht einen Schritt weiter: «Ein obligatorisches Auslandjahr für jeden Schweizer bis zum 25. Altersjahr würde ich begrüssen», sagt er und meint nicht den langen Urlaub, sondern mindestens 365 Tage in einer anderen, vorzugsweise aussereuropäischen, Nation.

Kunst soll die Welt vor allem verschönern

Das sei zwar mühsam mit all den offiziellen Bewilligungen, Fahrprüfungen, Krankenkassenanmeldungen, gesteht Johannes M. Hedinger. «Aber nur so lernt man eine Kultur in tieferen Schichten kennen und bekommt auch einen Bonus an Blick zurück dafür, was zuhause anders oder gut ist.» Er selbst gönnt sich bei seiner Ankunft in Kloten jeweils ein Silserbrötli vom Flughafenbeck.

«Point de Suisse» fragt auch, wozu Kunst gut sein soll. Fast 60 Prozent der Befragten meinen: zur Verschönerung der Welt. Nur gut 20 Prozent sehen in der Kunst ein Mittel für Subversion und Kritik. Das sei zwar ernüchternd, sagt Johannes M. Hedinger, doch gebe es interessante Parallelen.

Audio
Johannes M. Hedinger über die Antworten der Umfrage
00:46 min
abspielen. Laufzeit 46 Sekunden.

Wissenschaftler analysieren die Resultate

Zum Beispiel, wenn diese Antworten mit der Frage «Was sollte die Schweiz am dringendsten tun?» abgeglichen würden. Eine der Antworten auf diese Frage lautet: lernfähig und kritisch bleiben. Der Künstler hat an der wissenschaftlichen Auswertung der Umfrage sichtlich Spass. «Das kann ich eins zu eins auf die Kunst anwenden.»

Das Künstlerduo Com&Com macht Kunst, die nicht so einfach zu vermitteln ist. Die Umfrage «Point de Suisse» nennen sie eine öffentliche oder mediale Skulptur. Dazu gehöre es, die Ergebnisse der Umfrage nun in die Hände der Öffentlichkeit zu legen und von Wissenschaftlern analysieren und weiter bearbeiten zu lassen.

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