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Maria Eichhorn: Die Gesellschaft im Testverfahren
Aus Kontext vom 05.12.2018. Bild: Keystone / ENNIO LEANZA
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Künstlerin Maria Eichhorn Das Spektakel im Unspektakulären

Keine Bilder, keine Statuen – Maria Eichhorns Kunst nutzt Alltagsgegenstände – und stellt radikale Fragen.

Ein einsamer Besen lehnt an einer Wand. An die Wand gegenüber hat jemand mit Klebstreifen ein Blatt Papier geklebt und dann wieder abgerissen.

«Saalbesen» und «Vier Ecken eines entfernten Blattes Papier» sind typische Arbeiten der Künstlerin Maria Eichhorn, die häufig unspektakuläre Materialien verwendet.

Ein Besen, der an einer Wand lehnt.
Legende: «Saalbesen» (2011) von Maria Eichhorn. Stefan Altenburger / © 2018, ProLitteris, Zurich

Der Besen stammt aus einer Behindertenwerkstatt, ein grosses, aber handelsübliches Exemplar, sagt Eichhorn. «Drei Leute haben mich nach dem Kauf in der U-Bahn darauf angesprochen.» Das alltägliche Objekt triggert Reaktionen.

Wie Marcel Duchamp, der 1917 ein Pissoir der Firma «J.L. Mott Iron Works» als «Fountain» ausstellte und zum Kunstwerk machte, verwendet Maria Eichhorn Objekte, die von anderen gefertigt wurden. Das Spiel mit den Handschriften beherrscht sie perfekt.

Künstlerin oder Mitarbeiter– wer hat's gemacht?

Am deutlichsten wird das in der Arbeit «72 Bilder», die während einer Ausstellung in Paris entstand. Jeden Tag malten Angestellte des Museums ein monochromes Bild.

Für die Dauer der Ausstellung liess Maria Eichhorn also vor Ort Kunst produzieren – mit all den Gerüchen nach Ölfarbe und Holz, die dazugehören.

Die Namen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzugeben, ist der Künstlerin wichtig. Sie stehen bei den Ausstellungen stets neben den Objekten.

Farbige Bilder in einem Ausstellungsraum
Legende: Für die Arbeit «72 Bilder» (1992-1993) malten Angestellte eines Museums jeden Tag ein Bild. Lorenzo Pusterla / © 2018, ProLitteris, Zurich

So hinterfragen diese Arbeiten auch das Kunstsystem, das so viel Wert auf identifizierbare Handschriften und gut verkäufliche «signature works» legt.

Doch obwohl viele Menschen bei der Produktion mitarbeiten, gelten alle Objekte als Kunstwerke von Maria Eichhorn. Das sei kein Widerspruch, sagt die Künstlerin.

Sie stellt sich damit in die Tradition von Duchamp und vielen anderen Konzeptkünstlerinnen. «Schliesslich ist es ja die künstlerische Idee, die alles ins Rollen bringt.»

Was ist Nicht-Eigentum?

Neben den Konventionen des Kunstsystems beschäftigt sich Maria Eichhorn in ihren Arbeiten auch mit grundlegenden gesellschaftlichen Werten, beispielsweise dem Eigentum.

«Gebäude als Nicht-Eigentum» heisst ihre jüngste Arbeit, die für die documenta 14 in Athen entstand.

In zwei Vitrinen dokumentieren Korrespondenzen einen eher unüblichen Vorgang, der kurz vor dem Abschluss steht. Maria Eichhorn will in Athen ein Haus kaufen und das Gebäude in Nicht-Eigentum übertragen. «Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so kompliziert werden würde».

Der Blick aus einem Haus in Athen
Legende: Provokation des Rechtssystems: In Athen zeigte Eichhorn auf, wie schwierig es ist, etwas zu Nicht-Eigentum zu machen. Documenta 14 / Stathis Mamalakis / © 2018, ProLitteris, Zurich

Anwältinnen und Eigentumsexperten zerbrachen sich den Kopf. Denn mittels Gesetzen soll ermöglicht werden, was Gesetze nicht vorsehen. Die Lösung: Das Haus wird zur Kunst im öffentlichen Raum erklärt bei gleichzeitiger Limitierung der Eigentumsrechte.

Maria Eichhorn führt in ihren Kunstwerken immer wieder eine Art Belastungstest durch. Während Konsumentenmagazine Kindersitze oder Alufolie Extrembelastungen aussetzen, strapaziert Maria Eichhorn das juristische System oder das Kunstsystem bis zum Äussersten, um mehr über sie zu erfahren. Unspektakulär ist das nur auf den ersten Blick.

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