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Vom Publikum gewünscht 5/10 – Schweizer Woll- und Strickszene
Aus Kontext vom 28.07.2020. Bild: imago images / Pixsell
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Stricken im Trend Hartes Brot mit weichen Maschen

Es stricken nicht mehr nur Omis und Tanten. Die Strick-Szene wächst – und einige wenige versuchen, davon zu leben.

Die Stars der Szene heissen Joji Locatelli, Stephen West oder Andrea Mowry. Über die Online-Plattform Ravelry vertreiben sie Strickmuster für schlichte Pullis, Schals in verrückten Mustern oder mit Farbwechseln in weichen Fades. Tausende stricken diese Patterns nach. Auch in der Schweiz.

Stricken ist das neue Yoga

Die Szene wächst und ist gut vernetzt. Eine wachsende Anzahl Strickerinnen und Stricker mit entspannt klappernden Nadeln tauscht sich online aus oder trifft sich offline in Schweizer Wollläden und auf Garnfestivals. Aber nur wenige machen das Stricken zum Beruf.

Eine Frau mit einem gestrickten Schal.
Legende: Sabrina Schumacher hat ihren sicheren Job als Architektin aufgegeben und das Stricken zum Beruf gemacht. Donnarossa

Sabrina Schumacher in Zürich ist eine davon. Sie gab den sicheren Job als Architektin auf, um sich als Designerin mit ihrem Label Donnarossa selbstständig zu machen. Damit das ökonomisch aufgeht, arbeitet sie zusätzlich in einem Wollladen, fertigt Strickmuster im Auftrag und gibt Workshops – in Zürich, Winterthur oder Kapstadt.

Aufwendige Muster für wenig Geld

«Irgendwann muss man mutig sein», sagt die Designerin. Sie hält aber auch fest, das Überleben als Selbstständige sei nicht einfach. Ein Grund dafür: Die Preise für Strickmuster sind auffallend niedrig.

Weniger als zehn Schweizer Franken kosten die meisten Muster für Mützen, Schals oder Socken auf der Plattform Ravelry. Obwohl der Herstellungsprozess aufwendig ist. Patterns müssen vor der Veröffentlichung mehrfach überprüft und für mehrere Grössen berechnet werden.

Lustvoll in der Nische unterwegs

Die Bündner Designerin Lisa Candinas hat sich von solchen Marktzwängen unabhängig gemacht und setzt auf Strickkunst. Ihre unorthodoxen Strickkurse für das Rätoromanische Fernsehen RTR sind auf Youtube zu sehen. Ihren Lebensunterhalt verdient sich Candinas mit Kursen: an der Basler Berufsfachschule und lange Jahre am Institut für Mode-Design an Hochschule für Kunst und Gestaltung Basel (HKG).

Mach' Fehler!

Lisa Candinas setzt auf Fehler als kreatives Sprungbrett, nimmt plötzlich Maschen auf, lässt plötzlich welche fallen und macht vieles anders als es im Lehrbuch steht. Manche Strickteile entstehen bei ihr im Patchwork-Verfahren. Sie strickt ein Teil, ohne zu wissen, was es ist, und drapiert es auf den Körper. So entsteht Stück um Stück ein Pulli. Oder wird das doch ein Jupe?

Ein begonnenes Strickwerk liegt auf einem Sessel.
Legende: Schal, Kissen oder Badezimmerteppich? Lisa Candinas beginnt zu stricken, ohne zu wissen, was daraus wird. SRF / Ellinor Landmann

So unterschiedlich die Strickmuster und ökonomischen Modelle von Lisa Candinas und Sabrina Schumacher sind, die beiden Designerinnen teilen die Begeisterung über die Strickcommunity und den regen Austausch. Und dem stimmen auch Yvonne Woodhouse und Marcel Hügel zu. Die beiden produzieren mit Artlana das – gemäss Eigenwerbung – einzig unabhängige Strickheft der Schweiz.

Ein Magazin «strictly offline»

«Artlana» gibt es nur gedruckt, obwohl gerade die Strickcommunity online bestens aufgestellt ist. In einer Auflage von 1000 Exemplaren erarbeiten die beiden Freelancer nun Nummer 4. Und planen bereits eine englische Übersetzung, «weil der Markt dann sofort sehr viel grösser wird», so Yvonne Woodhouse.

Sie und Marcel Hügel leben beide von Brotjobs und leisten sich Artlana als Fast-Vollzeit-Hobby. Das Heft müsse sich nicht rechnen, die ökonomische Unabhängigkeit sei Teil des Erfolgsrezepts, sagen beide.

Klein bleiben und gross denken

Zwischen Leidenschaft und kühlem Kopf, zwischen bester Amateurtradition und professioneller Selbstausbeutung: Die Schweizer Strickszene und ihre Ich-AGs bewegen sich voller Lust in einer Nische. Zeit, mal wieder ein paar Maschen anzuschlagen.

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