Der Kampf um die Durchsetzung der eigenen Meinung tobt auch in der Welt von Kunst und Kultur. Hass-Mails und Drohungen, bis hin zum medialen Lynchmord sind für viele Kunstschaffende und Museumsleute keine Ausnahme mehr. Ebenso wie Protestaufmärsche vor Ort.
Vor einem Museum in Haifa zum Beispiel, werden Brandbomben gezündet, empörte Christen liefern sich Strassenschlachten mit der Polizei. Grund: Jesus am Kreuz im McDonald’s-Kostüm. Ein Werk des finnischen Künstlers Jani Leinonen, der dieses als Kapitalismuskritik versteht.
Wie weit darf Kunst gehen?
Ein zweites Empörungsobjekt hat Glubschaugen, überdimensionierte Lippen und reissende Zähne und hängt seit fast 30 Jahren an den Wänden der französischen Nationalversammlung: Ein Ausschnitt, der zu einem Bilderzyklus des Künstlers Hervé di Rosa gehört und die Höhepunkte der französischen Gesetzgebung darstellt. Hier in Form der Abschaffung der Sklaverei 1794.
Die Darstellung sei rassistisch und unerhört, entrüstet sich die Professorin und Regisseurin Mame-Fatou Niang: «Die Bilder könnten auch aus Tim und Struppi im Kongo stammen», ärgert sie sich und fordert sofortiges Abhängen.
Identität will verteidigt werden
Diese und weitere Auseinandersetzungen sind Grundlage des Films «Skandal! Ist die Freiheit der Kunst in Gefahr?». Die Regisseurin Katrin Sandmann fragt dabei, was Kunst darf – und was nicht.
Es sei ein gesellschaftliches Phänomen, das Demokratien von Nordamerika bis nach Osteuropa aufmischten, sagt Sandmann im Film. «Auch in der Kunstwelt ist Identität nun zu einem verteidigungswürdigen Wert geworden.»
Haben die Opfer recht?
Immer mehr Gruppen klagten Beleidigung, kulturelle Aneignung, Rassismus und Sexismus in der Kunst an. Viele fühlten sich als Opfer, so Sandmann.
«Aber gibt das Gefühl der Beleidigung, das Gefühl, Opfer zu sein, den Betroffenen das moralische Recht, nach Zensur zu rufen und die Kunstfreiheit einzuschränken?», fragt sie und versammelt dazu Protagonistinnen mit unterschiedlichsten Positionen.
Was geht da vor in der heutigen Kunstwelt? Wird moralische und politische Korrektheit gerade zum bestimmenden Kriterium in der Kunst?
Verschaffen sich die Stimmen zu Recht Gehör, die in Kunst und Gesellschaft zu lange ignoriert und beleidigt wurden? Oder entsteht da gerade eine Art Zensur von unten? Eine Tyrannei des Twitter Mobs?
Zuschauer zwischen Fronten
Katrin Sandmanns Film ist eine spannende Achterbahnfahrt durch die verschiedensten Perspektiven innerhalb dieser Debatte. Kein billiger Schlagabtausch in Schwarz-Weiss, sondern eine Montage von pointierten, durchdachten Positionen.
Gekonnt werden Meinungen einander gegenübergestellt, sodass man als Zuschauer beinahe von Aussage zu Aussage das Lager wechseln möchte und sich gespannt fragt, was denn wohl der nächste dagegen zu sagen vermag.
Denn prompt folgt das nächste schlagende Argument und die nächste überraschende Wendung. So überraschend, wie Kunst selbst im besten Falle immer wieder ist.