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Über Sibylle Bergs «GRM»
Aus Kultur-Aktualität vom 11.04.2019. Bild: Keystone / JENS KALAENE
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 40 Sekunden.
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Dystopischer Roman Sibylle Berg läutet die Endzeit ein

Saufen, huren, morden: In ihrem Roman «GRM» zeichnet Sibylle Berg eine Zukunft, die uns bekannt vorkommt – ein bisschen.

Es ist, als hätte Sibylle Berg alle Horrorszenarien, die je geschrieben wurden, in einem Buch zusammengetragen. Hier wird gesoffen, gehurt, gemordet – das Ganze per Smartphone gefilmt und live ins Netz übertragen.

All das in einer derart vulgären Sprache, als wäre man in einem jener Internetforen gelandet, in denen sich Menschen in «Hate Speech» auskotzen.

Chip, Chip, hurra

Das Buch spielt in einer sehr nahen Zukunft und hat vielleicht schon begonnen. Der Brexit ist eben vollzogen, mehr und mehr Länder werden autark.

Gegenwärtige soziale und politische Missstände sind bis zum Absurden überzeichnet. Menschen bezahlen mittels eines Chips in der Hand, der zugleich jeden Schritt und jeden Einkauf registriert und an die Zentrale übermittelt.

Bitterer Humor

Sibylle Berg schreibt diese Zukunftswelt mit dem Mittel, das sie trefflich beherrscht und für das sie auch schon ausgezeichnet worden ist: der Groteske.

Die meisten Figuren wirken holzschnittartig, sind höchstens Stellvertreter für ein soziales Milieu. Abgesehen von den vier jugendlichen Protagonisten haben sie keine Namen, sondern werden lediglich als Ex-Lieferant, als Studentin oder Philosoph in die Geschichte eingeführt.

Es sind Individuen, deren Arbeit nach und nach durch Roboter ersetzt worden und deren Existenz obsolet geworden ist.

Menschen, die auf Endgeräte starren

«Wie verändert sich das Hirn im Offline-Modus, wenn das Dasein zunehmend virtuell stattfindet?», lässt Sibylle Berg den Erzähler rhetorisch fragen. Sie gibt die Antwort im Laufe des Romans: Der Verlust jeglicher Empathie und totale Egomanie sind die längerfristigen Auswirkung der Digitalisierung.

Buchhinweis

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Sibylle Berg: «GRM – Brainfuck». Kiepenheuer & Witsch, 2019.

Bis zu acht Stunden verbringen Menschen täglich mit dem Starren auf «Endgeräte», wie sie bei Sibylle Berg heissen. Endgeräte läuten die Endzeit der Menschheit ein. Unablässig schlägt die virtuelle Flut von Videos mit gewaltvollen, rassistischen oder pornografischen Inhalten auch dem Leser entgegen.

Toxische Männlichkeit ist auf dem Vormarsch. Hassreden zirkulieren im Internet. Politiker verbreiten Fake News. Mit jedem Klick sammeln sie heikle Daten der User und bauen ihre Macht damit weiter aus.

Das Virtuelle ist das Reale

Bei der Lektüre von «GRM» schickt Sibylle Berg einen vom Schock über die Abscheu bis zur Überreizung. Irgendwann aber kippt es.

Es kippt, wenn hinter der ganzen grotesken Sprache und Maskerade etwas einbricht. Wenn zum Beispiel der wahnwitzige Patriarch und Premierminister als Trump-Karikatur erkenntlich wird.

Dann plötzlich merken wir: All das ist nicht kompletter Humbug, nicht allein groteske Fiktion, sondern – zumindest in Teilen – bereits real.

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