Es muss schwer sein, die Biographie eines Verschollenen zu schreiben. Eines Weltberühmten, Unbekannten, der seine Privatsphäre wenn nötig mit der Waffe in der Hand verteidigt. J.D. Salinger will sein Inkognito und er hütet es mit Verve und Leidenschaft.
Kampf um Anerkennung
Das war nicht immer so. Bis zu seinem berühmten Buch über den jugendlichen Aussenseiter Holden Caulfield und seine kleine Schwester Phoebe, hatte Salinger am Leben der New Yorker Literaturszene teilgenommen. Er kämpft hart um Aufmerksamkeit und Anerkennung. Viele seiner Geschichten werden abgelehnt. Immer wieder, auch vom New Yorker, dem Zentralorgan der nordamerikanischen Intelligenz.
Salinger lässt nicht locker, bis «The Catcher in the Rye» kommt und alles ändert. Zehn Jahre hat er an dem Roman über drei triste Tage in New York gearbeitet. Bis heute erlebte er geschätzte 25 Millionen Auflagen. Weltweit fand er süchtige Leser: Michael Chapman trug ihn bei sich, als er John Lennon erschoss.
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Berühmt und öffentlichkeitsscheu
Auf einer Liste der «Time» findet sich J.D. Salinger unter den Top 10 der «reclusive celebrities», den öffentlichkeitsscheusten Berühmtheiten. Neben Persönlichkeiten wie Rätselautor Thomas Pynchon oder Pink Floyd-Gründer Syd Barret.
Mit seiner Biographie über den 1919 geborenen Schriftsteller schwimmt Slawenski gegen den Strom. Auf Salingers Unterstützung kann er nicht zählen, genauso wenig wie ein paar frühere Biographen. Der Autor, der immer den Erfolg wollte, will ihn nicht mehr, als er da ist.
Erfolg wird zum Fluch
«Der Fänger im Roggen» wird zum Fluch. Es erscheinen noch ein paar Novellen, wie «Franny und Zooey», auch sie ein grosser Erfolg. Dann kommt nichts mehr. Salinger lebt meist allein in seinem Holzhaus in Cornish, New Hampshire. Er erlebt eine religiöse Wende, ernährt sich makrobiotisch und schreibt weiter. Er sieht sich auf dem Heimprojektor alte Filme an und schreibt. Fünfzehn abgeschlossene Manuskripte, so heisst es, sind es bis zu seinem Tod im Januar 2010. Besucher sind ungebeten und müssen mit entschlossener Gegenwehr rechnen. «Hapworth 16, 1924» heisst seine letzte veröffentlichte Geschichte. Sie fällt durch bei Publikum und Kritik.
Selbstgewähltes Exil in Cornish
Traumatisch für Salinger sind seine Erlebnisse als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er ist bei der Landung der Alliierten in der Normandie dabei und überlebt weitere Schlachten auf deutschem Boden bis zum Kriegsende 1945. Zurück bleiben ein zerstörtes Trommelfell und eine angegriffene Psyche, Depressionen und Paranoia.
In sein Exil in Cornish werden später nur wenige vordringen. Einige Frauen sind darunter. Seine Ehe mit der englischen Kunstkritikerin Claire Douglas war geschieden, als Joyce Maynard für einige Zeit seine Festung erobert. Sie ist achtzehn, schreibt ebenfalls und hat sehr, sehr grosse Augen. Eine Affäre, die zehn Monate dauert. Dann ist auch das vorbei. Kein wahrer Satz sei in ihren Texten, ruft er ihr zum Abschied nach.
«Fuck»
In «Der Fänger im Roggen» kommt das Wort «Fuck» 44 Mal vor, so hat man gezählt. Für William Faulkner war der in präzisem Slang geschriebene Roman «das beste Buch der gegenwärtigen Schriftstellergeneration». Salinger fand Bewunderer von Hemingway bis Updike, aber auch Charles Manson zählt zu Salingers Lesern.
Er selbst ist der abgründige Menschenfeind geblieben, als der er seinen jugendlichen Helden auch gezeichnet hatte. Einem Reporter sagt er schon 1973 am Telefon: «Ich schreibe gerne und viel. Aber ich schreibe für mich selbst, zu meinem eigenen Vergnügen.» Das letzte Interview ist von 1980. Danach gab es keine Presse, keine Lesungen mehr und kaum noch Fotos. Am Ende beschäftigt Salinger nur noch ein paar Anwälte gegen die Zudringlichkeiten der Aussenwelt. Gegen Leute etwa, die eine Fortsetzung von Holden Caulfields Geschichte planen. Auch damit hat er Erfolg.
Biographie trotz schwierigen Bedingungen gelungen
Fast unmöglich scheint es, eine Biographie über einen solchen Autor zu schreiben. Kenneth Slawenski hat es versucht und es ist ihm gelungen. Recherchiert ist alles unter notorisch schwierigen Bedingungen, aber trotzdem mit Nachdruck und Genauigkeit. Die Biographie ist so weder pedantisch noch distanzlose Lobrede. Salinger hätte ganz zufrieden sein können.
In «Franny und Zooey» findet sich der prophetische Satz: «Diese Pedanten und kleinen Zerstückler machen mich einfach so krank – ich könnte heulen.»