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Literatur Javier Cercas hinreissende Geschichtslektion

Nach dem Ende der Diktatur Franco machten kriminelle Jugend-Cliquen das Land unsicher. Für den spanischen Schriftsteller Javier Cercas ist der historische Stoff Grundlage für einen nachhaltigen Roman über die Suche nach der Wahrheit.

Er war 9-jährig, als er notorisch Autos zu knacken begann. Bald lieferte er sich mit der Polizei filmreife Verfolgungsjagden. 12-jährig überfuhr er eine Frau, als er deren Tasche entreissen wollte. Schliesslich landete er in Erziehungsheimen und am Ende im Zuchthaus. Dort protestierte er gegen die unmenschlichen Haftbedingungen. An Aids erkrankt, starb er im Jahr 2003. Seine Biografie wurde in Filmen und Biografien nacherzählt, seine Taten in Liedern besungen.

Jugendliche Delinquenten als Romanstoff

Zwei übereinandergelegte Schwarz-weiss Portraits zweier junger Männer
Legende: Reale Biographien dienen Javier Cercas als Boden für seine fiktionale Erzählung. Bildmontage

Juan José Moreno Cuenca, genannt «El Vaquilla», war einer der berühmtesten Kriminellen Spaniens und könnte dem Schriftsteller Javier Cercas als Modell für seine Hauptfigur Zarco gedient haben. Tatsächlich orientierte sich Cercas für seinen Roman «Outlaws» an den Biografien jugendlicher Delinquenter, die Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre fast täglich für Schlagzeilen sorgten.

Nach dem Ende der Diktatur Franco machten Tausende von entwurzelten, arbeitslosen Jugendlichen aus armen Verhältnissen die Strassen Spaniens unsicher: Sie stahlen, brachen in Häuser ein und überfielen Banken. Für die Massenmedien waren sie ein beliebtes Sujet: Indem sie diese als Helden stilisierten, waren ihnen hohe Verkaufszahlen und Einschaltquoten sicher. Einige Kleinkriminelle wurden gar zu Filmstars.

Buchhinweis

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Javier Cercas: «Outlaws», S. Fischer Verlag, 2014.

Gewohnt raffiniert erzählt

Javier Cercas erzählt im Roman «Outlaws» die fiktive Geschichte einer Jugendbande aus Girona. Im Zentrum stehen Zarco und Tere, ein Junge und ein Mädchen aus der Unterschicht, sowie Ignacio, ein Bursche aus der Mittelschicht.

Ignacio ist fasziniert vom selbstsicheren Auftreten Zarcos und er ist verliebt in Tere. Er entschliesst sich, an deren krummen Touren zu beteiligen. Sie klauen Handtaschen und Autos, verüben Einbrüche und Überfälle. Eines Tages laufen sie nach einem Banküberfall der Polizei in die Hände, jemand hat sie verraten. Zarco wird gefasst und kommt ins Zuchthaus, Ignacio findet ins bürgerliche Leben zurück und wird Anwalt. Viel später treffen sie sich wieder vor Gericht. Ignacio kämpft um Hafterleichterung und Freigang für Zarco – sekundiert von einer Armee von sensationslüsternen Journalisten und Jugendfreundin Tere.

Javier Cercas erzählt diesen Plot mit gewohnt grosser Raffinesse. Wie bereits in seinem erfolgreichen Roman «Die Soldaten von Salamis» über den spanischen Bürgerkrieg behandelt er den Stoff als «Erzählung nach der Wirklichkeit». Ein Autor will die damaligen Ereignisse rekonstruieren und unterhält sich Jahre später mit dem Protagonisten Ignacio sowie mit einem Polizei-Inspektor und einem Gefängnisdirektor. Ihre unterschiedlichen Perspektiven auf das Geschehen machen die historische Wirklichkeit zu einer anderen Wirklichkeit als die der Fakten. Allmählich scheint aus dem Netz verschiedener Versionen eine Art von Wahrheit auf.

Wieder eine falsche Fährte

Analog zu seinem Bürgerkriegsroman legt Cercas auch in «Outlaws» am Anfang eine falsche Fährte. Die Figur des Zarco dient ihm als ein MacGuffin, wie Alfred Hitchcock Personen und Objekte nannte, die dazu dienen, eine Handlung auszulösen oder voranzutreiben. Es geht vor allem darum, Spannung über die Handlung hinweg aufrecht zu erhalten. Zu Beginn der Lektüre gewinnt der Leser den Eindruck, Cercas wolle den Mythos rund um die Jugendbanden demontieren, aber eigentlich hat er eine Liebesgeschichte im Sinn.

Dank dieser erprobten, aber keineswegs billigen erzählerischen Mittel liest sich der Roman «Outlaws» als packender Krimi, als rührende Liebesgeschichte und als hinreissende Geschichtslektion.

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