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Literatur Kinder wollen wissen, was Gleichaltrige im Krieg erleben

«Der Tiger in meinem Herzen» ist ein Roman über einen Kindersoldaten. Einen Jungen, der unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer im Kambodscha Menschen getötet hat. Ist das ein Stoff für junge Leser? Die US-amerikanische Kinder- und Jugendbuchautorin Patricia McCormick sagt: ja.

Der Protagonist ihres Buches Arn Chorn Pond hat im kambodschanischen Bürgerkrieg seine Familie verloren. Er hat seine Freunde sterben sehen und als Kindersoldat Menschen getötet. Wie sind Sie auf seine Geschichte gestossen?

Patricia McCormick

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Patricia McCormick ist Journalistin und schreibt Jugendbücher. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter den Gustav-Heinemann-Friedenspreis für das Jugendbuch «Verkauft». Sie lebt mit ihrer Familie in New York, USA.

Patricia McCormick: Ich traf Arn Chorn Pond durch einen Nachbarn in meinem Haus in New York City. Sein Charisma hat mich sofort angezogen. Aber mir war auch bewusst, dass er seine Geschichte nicht selber erzählen konnte. Er wurde wieder zum traumatisierten elfjährigen Jungen, sobald er von seinen Erfahrungen berichten wollte. Er wurde sehr emotional. Ihm war es schier unmöglich, die Ereignisse der Reihe nach zu erzählen. Ich fühlte, dass die Welt seine Geschichte erfahren sollte – und dass ich die Ehre hatte, ihm dabei zu helfen.

Arn Chorn Pond war noch ein Kind als die Roten Khmer die Macht übernahmen und Völkermord begingen. Wie haben sie sich ihm und seiner Geschichte angenähert?

Wir haben eine Reihe von Interviews gemacht, in meiner Wohnung in New York. Das war sehr emotional, für uns beide. Zuerst ging es darum, dass Arn Vertrauen zu mir fasste. Auch wenn er seine Geschichte schon oft vor Publikum erzählt hatte, ist es doch etwas anderes, wenn man sie jemandem übergibt, und sie dann auf Papier gedruckt erscheint. Das hat etwas Beängstigendes. Ich habe dann seine Aussagen überprüft. Nicht weil ich ihm misstraut hätte, aber ich musste ein Grundgerüst bauen, damit ich seine Erlebnisse einordnen konnte in die kambodschanische Geschichte.

Wollte er über seine traumatischen Erlebnisse sprechen?

Buchhinweis

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Patricia McCormick: «Der Tiger in meinem Herzen», Fischer, 2015.

Er ist ungewöhnlich offen, wenn man bedenkt, dass er aus einer Kultur kommt, wo die Menschen nicht so gerne über die Vergangenheit, ihre Traurigkeit und den Terror sprechen. Ich musste ihn nicht drängen, aber manchmal musste ich nachhaken. Es gibt zum Beispiel diese Szene, da wird er zu einem Kindersoldaten und ist gezwungen, eine Waffe zu tragen. Er trifft auf eine Frau, die angeschossen ist. Sie liegt in der prallen Sonne und bittet ihn, sie zu töten. Er erzählt mir diese Geschichte und dann wechselt er blitzschnell das Thema. Ich musste wirklich dranbleiben und ihn fragen: «Diese Frau hat dich gebeten, sie zu töten. Hast du's getan?» Da sagte er «Ja.» Und dann weinte er.

Können junge Leser mit so viel Gewalt umgehen?

Ich kenne den Impuls, den viele Erwachsene haben, unsere Kinder beschützen zu wollen vor Dingen in der Welt, die sie noch nicht wissen müssen. Aber aufgrund meiner Erfahrung mit jungen Lesern glaube ich auch, dass Kinder sehr interessiert sind an dem, was um sie herum passiert. Sie fasziniert, was Gleichaltrige in anderen Ländern erleben, an kriegsversehrten Orten. Sie sind erpicht darauf zu erfahren, was ihre Altersgenossen machen unter diesem enormen Druck.

Haben Sie gewisse Erlebnisse zensiert, weil sie zu heftig waren?

Wir haben nichts ausgelassen, weil wir dachten, es sei zu viel. Aber wir haben den bewussten Entscheid gefällt, nicht eine Serie von Szenen zu zeigen, in denen die gleiche Brutalität wiederholt wird. In den knapp vier Jahren hat Arn an vielen Gräueltaten teilgenommen und Schreckliches gesehen. Aber man muss den Leser ja nicht mit dem Ausmass dieser Taten bombardieren. Du zeigst eine dieser Gräueltaten und dann gibst du zu verstehen, dass solche Grausamkeiten oft wiederholt wurden. Ein Beispiel genügt.

In Ihren Büchern zeigen Sie reales Leben, keine Fantasiewelten. Richten sich Ihre Bücher an Kinder, die sich für Weltgeschichte interessieren?

Auch, aber nicht nur. Kinder sind angezogen von gewissen Büchern und kennen den Grund meist selber nicht. Nehmen wir zum Beispiel Kinder, die in schwierigen Familienverhältnissen leben, denen es schlecht geht. Wenn sie jetzt von jemandem lesen, der unter schier unerträglichem Druck gelebt hat, rückt das ihre eigene Situation in ein anderes Licht. Sie kommen auf neue Gedanken, zum Beispiel: «Oh, dieses Kind machte Musik, um sein Leben zu retten, jenes verbündete sich mit jemandem aus dem Feindeslager.» Ich glaube, wir alle suchen in den Büchern, die wir auswählen, uns selber.

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