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Literatur Menschen = Bücher

Bücher sind wie Menschen. Es gibt gute und schlechte, und oft meint man, man weiss welches was ist, nur schon vom Cover her. Manche Genres haben einfach einen guten Ruf. Aber sind sie besser? Ist Genre überhaupt wichtig?

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Die meisten Leute, die ich kenne, lesen das, was sie mögen, interessiert und ohne Vorbehalte. Mal G.R.R. Martin, mal den neuesten Martin Suter, danach vielleicht Iris Murdoch, oder Maeve Brennan’s scharfzüngige Kurzgeschichten, die ich kürzlich entdeckt habe, und die ich allen, die mir über den Weg laufen, wärmstens empfehle. Und doch sehe ich immer wieder Zankereien zwischen Bücher-Genres und ihren Lesern, Musik-Sparten und ihren Hörern, und schliesslich – und für mich am wenigsten nachvollziehbar – zwischen denen, die diese Musik, Bücher, oder Kunst erschaffen.

Die Vorurteile kommen von allen Richtungen. Von Fantasy Lesern höre ich oft, dass die Leser von Literarischem hochnäsig sind, ihr Lesestoff langweilig. Umgekehrt sagte mir mal ein Elternteil eines Kollegen, dass, Herr der Ringe’ ‚Volksverblödung’ sei, und mehrmals wurde ich gefragt, als mein erstes Buch herauskam – ein Jugendbuch – ob ich nicht doch mal was Seriöses schreiben wollte, eben mal was für Erwachsene. Ich verstand nicht, wieso diese Fragesteller sich seröser einschätzten als die Jugendlichen, für die ich schrieb; ihre Fragen waren auf alle Fälle weniger klug. Aber so ist es: Labels werden auf Produkte gestempelt, und werden auch befolgt und geglaubt, und mit Inhalt verwechselt, eine Oberflächlichkeit, die vieles bestimmt, und auch manchmal von den Kunstschaffenden ein bisschen zu ernst genommen wird.

Ich denke an Kazuo Ishiguro (The Remains of the Day, Never Let Me Go), der vor ein paar Jahren in der New York Times über seine Angst sprach, dass Leser und Kritiker in seinem neuesten Buch, The Buried Giant, ‚nur’ Fantasy sehen würden, und – da lese ich frei zwischen den Zeilen – seine literarischen Absichten und tiefgründigen Aussagen total verpassen würden.

Wieso Ishiguro meint, dass er seine Leser nicht zu überzeugen vermag, dass Fantasy und Tiefgründigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen, weiss ich nicht, aber ein bisschen kann ich seine Sorgen schon verstehen. Man will von seinesgleichen ernstgenommen werden, und wenn sie Vorurteile gegenüber der gewählten Richtung haben, wird es unangenehm. Und doch finde ich es irgendwie schwach, wenn ein gestandener Schriftseller so darauf angewiesen ist, Regeln zu befolgen, die eigentlich gar keine sind. Mach doch, was du willst, und überzeuge damit andere, dass ihre Vorurteile keine Grundlage haben.

Literatur mischt sich ein

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Rassismus, Populismus, Überalterung – darum drehen sich die brennenden Fragen unserer Zeit. Mit literarischen Texten nehmen sechs junge Schweizer Autorinnen und Autoren dazu Stellung – im «HörPunkt» auf Radio SRF 2 Kultur.

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Ishiguro hat nach der verärgerten Gegenreaktion zu seinem Interview erwidert, dass er total dafür ist, dass Drachen und Giganten in Büchern vorkommen. Es wäre vielleicht hilfreicher, hätte er mehr Vertrauen gezeigt in seinen Stoff, und sich unbekümmert gegeben, aber ich bin mir sicher, dass er nichts Böses meinte. Ich finde es bloss langweilig, Musikern oder Schriftstellern zuzuhören, die über Genre reden, als ob es eine Wertbezeichnung sei. Es gibt immer wieder solche, die nur etwas mögen, nur einen Weg sehen. Das sind nicht mehr Wegbereiter, sondern Menschen mit Gewohnheiten, und man kann auch innerhalb einer vermeintlichen Avantgarde ganz schön konventionell sein.

Ich werde das Gespräch nie vergessen, das ich letztes Jahr mit einem meiner Dozenten an der Zürcher Hochschule der Künste hatte. Wir sprachen darüber, wie Arvo Pärt’s Magnificat von manchen von Pärt‘s musikalischen Zeitgenossen verschmäht wurde. Das Werk ist komplett in F-Moll, tonal, fliessend und schön. . . Ich persönlich finde das Werk sehr berührend, und wenn man die Verbindung zwischen Text und Tonmaterial genauer anschaut, ist es auch für den Kopf spannend. Ich fragte meine Dozenten also, ob Tonalität nicht einfach eine weitere Ausdruckmöglichkeit ist, so wie Atonalität oder 12-Ton, und wieso das in der damaligen Zeit nicht respektiert wurde. Da sagte mein Dozent: «Also, Offenheit kann man in diesen Kreisen nicht erwarten.»

Toll, aber eigentlich erwarte ich vor allem von diesen Kreisen Offenheit. Ich kann solche Stilmittel und die Konventionen eines Genre nicht anders sehen, als wie eine Hülle um der persönlichen Stimme ein Zuhause zu geben: Es sind Dekorationen, nicht der Kern. Denn egal ob Tonal oder Atonal, Märchengeschichten oder Autobiographisches, es geht immer um eine Welt, die eigentlich nur im Kopf des Künstlers existiert, die dann irgendwie in die Limitationen der menschlichen Sprache gezwängt werden wird. Manchmal muss man diesen Kern suchen unter den Dekorationen. Aber wenn er dort ist – und er ist dort, in allen Büchern und Musikstücken, die man mag – dann können noch so viele Drachen rundherum sein, der Kern hat nichts mit ihnen zu tun.

Genres sind also eher Marketing-Tools, Signale, so dass die richtigen Leute die richtigen Bücher kaufen, in die richtigen Konzerte gehen . . . Die Idee ist wahrscheinlich auch, dass Konsumenten auf Anhieb erahnen können, was sie erwartet, und somit keine Zeit verschwenden. Doch ich bin der Meinung, man kann genauso oft und einfach in die Irre geleitet werden, wenn man sich nur auf solche Signale verlässt. Dann mag man vielleicht Werke, weil sie der richtigen Gruppe angehören, und einem das richtige Aussehen verleihen, und es geht plötzlich weniger um Genres, und mehr um die Cliquen, die sich darum bilden, die Aussenwelt und ‚wir’.

Möglicherweise ist der Punkt einfach, dass manche Menschen manchmal nicht so gut miteinander klarkommen, und darum wenig Wertvolles ausserhalb ihres eigenen Kreises finden wollen. Daher ist dieser ganze Gedankengang ein bisschen utopisch, aber persönlich kann ich ja immer etwas ändern...

Für mich wäre das Ziel also, jetzt und auch später, wenn ich alt und rechthaberisch werde, offen zu sein; offen für Überraschungen, offen Dinge zu entdecken, die sich auf ungewohnte Weise präsentieren; und auch zu verstehen, dass das, was ich nicht mag, trotzdem gut und wichtig sein kann. Also kein Snobismus. Man trifft überall gute Menschen, findet gute Bücher unter den grellsten Staubdeckeln, hört wunderbare Musik an der Strassenecke ebenso wie in der Konzerthalle. Und man ist nicht besonders gut informiert, wenn man nur mit seinesgleichen herumirrt.

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