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Sexismus oder Kunstfreiheit? Gomringers Gedicht «Avenidas» muss weg

Seit letzten Herbst wird über das Gedicht «Avenidas» des Schweizer Lyrikers Eugen Gomringer diskutiert. Nun steht definitiv fest: Das Gedicht an der Fassade der Alice Salomon Hochschule Berlin wird übermalt. Der Entscheid stösst auf heftige Kritik.

«Die Ignoranz hat gesiegt, die Kunst hat verloren.» So kommentiert Deutschlandradio-Redaktor Tobias Wenzel den Entscheid der Alice Salomon Hochschule Berlin, Eugen Gomringers Gedicht auf der Fassade zu entfernen.

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Tobias Wenzel über den Entscheid der Alice Salomon Hochschule Berlin
aus Kultur-Aktualität vom 24.01.2018. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 19 Sekunden.

Angehörige der Hochschule hatten vergangenes Jahr moniert, Gomringers Gedicht «Avenidas» könne Frauen gegenüber als diskriminierend aufgefasst werden. Dabei geht es um den Satz: «Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer». Damit würden Frauen, so die Kritiker, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert.

Bei einer Abstimmung hatten sich die Hochschulangehörigen Ende 2017 mit einer Mehrheit gegen das Gomringer-Gedicht ausgesprochen. Der Akademische Senat entschied sich nun mit acht von zwölf Stimme, das Gedicht zu entfernen.

Neue Preisträger sollen geehrt werden

Gomringers Gedicht aus dem Jahr 1951 steht seit 2011 in grossen Lettern auf der Südfassade der Hochschule. Die Verantwortlichen hatten damit die Vergabe ihres Alice Salomon Poetikpreises an den Lyriker würdigen wollen.

In Zukunft soll alle fünf Jahre ein neuer Poetik-Preisträger mit Verszeilen auf der Hauswand geehrt werden. Bei einer Fassadenrenovierung im Herbst 2018 soll ein Text der letztjährigen Preisträgerin Barbara Köhler angebracht werden.

«Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie»

Letzten Herbst stand noch offen, ob die Sexismus-Vorwürfe an Eugen Gomringers Gedicht Konsequenzen haben würde. Der Lyriker selber sprach sich schon damals gegen die Entfernung des Gedichtes aus.

Auch jetzt kritisiert Gomringer die Entscheidung: «Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie», sagte der 93-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Er behalte sich rechtliche Schritte vor. Auch der Deutsche Kulturrat, Spitzenorganisation von 250 Bundeskulturverbänden, reagierte «erschüttert».

«Klares Bekenntnis zur Kunst»

Der Rektor der Hochschule, Uwe Bettig, liess am Dienstag verlauten: Das Votum bedeute für die Hochschule «ein klares Bekenntnis zur Kunst». Man habe «grössten Respekt vor Eugen Gomringer, seinem Schaffen und seinem Werk».

Die Hochschule teilte ausserdem mit, sie werde Gomringers Wunsch nachkommen und auf einer Tafel in Spanisch, Deutsch und Englisch an das Gedicht und die Debatte erinnern. Der Lyriker selbst hat dafür «drei Plakate» gefordert.

Zur Person

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Eugen Gomringer (geb. 1925) ist ein bolivianisch-schweizerischer Schriftsteller. Er begründete die «Konkrete Poesie». Diese versucht nicht primär Inhalt oder Atmosphäre sinnhaft wiederzugeben, sondern nutzt Klang und Visualität von Worten und Buchstaben als literarisches Mittel. Eugen ist der Vater von Nora Gomringer.

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